Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Genehmigung zur Versorgung chronisch niereninsuffizienter Patienten nach Anlage 9.1 BMV-Ä. Statthaftigkeit einer Feststellungsklage hinsichtlich des Nichtbestehens eines Versorgungsauftrags zugunsten einer Konkurrentin. Wirksamkeit eines „mitgenommenen“ Dialyse-Versorgungsauftrags nach Auflösung einer Dialysegemeinschaftspraxis und Übernahme in ein MVZ. jahrelange Nichtnutzung aufgrund Unkenntnis. keine Erledigung iSd § 39 Abs 2 SGB 10. kein Erlöschen iSv § 5 Abs 7 Buchst c S 7 der Qualitätssicherungsvereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren

 

Orientierungssatz

1. Zur Geltendmachung, dass eine ursprünglich erteilte Genehmigung zur Versorgung chronisch niereninsuffizienter Patienten nach Anlage 9.1 BMV-Ä nicht mehr vorliegt, ist die Feststellungsklage einer konkurrierenden Dialysepraxis statthaft (Anschluss an BSG vom 15.3.2017 - B 6 KA 35/16 R = BSGE 126, 1 = SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 12, RdNr 35).

2. Zur Wirksamkeit eines Dialyse-Versorgungsauftrags, der nach Auflösung einer Dialysegemeinschaftspraxis in Form einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG), die über zwei besondere Versorgungsaufträge nach Anlage 9.1 BMV-Ä verfügte, durch Einbringung des verbliebenen Vertragsarztsitzes in ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) von diesem (und nicht von dem die Gemeinschaftspraxis verlassenden, eine Dialyseeinzelpraxis gründenden Vertragsarzt) übernommen, aber tatsächlich jahrelang bis zum Urteil des BSG vom 15.3.2017 - B 6 KA 20/16 R nicht genutzt wurde.

3. Zunächst liegt kein Verzicht des MVZ auf den Versorgungsauftrag vor, der zu einer Erledigung des Auftrags in sonstiger Weise iSd § 39 Abs 2 SGB 10 geführt hätte. Ein Verzicht bzw ein entsprechender Wille hierzu kann nur dann vorliegen, wenn dem Unterlassenden überhaupt bewusst ist, dass ihm ein entsprechendes Recht zusteht oder zustehen kann.

4. Der Versorgungsauftrag ist auch nicht anderweitig iSv § 39 Abs 2 SGB 10 erledigt. Ein Verwaltungsakt hat sich auf andere Weise erledigt, wenn durch eine Änderung der Sach- oder Rechtslage das Regelungsobjekt des Verwaltungsaktes entfällt. Der Übergang des Versorgungsauftrags als „Überbleibsel“ der ursprünglichen Dialysepraxis in das MVZ als solcher kann vorliegend nicht als maßgebliche Änderung im vorgenannten Sinne gelten.

5. Auch die Tatsache, dass das MVZ den streitgegenständlichen Versorgungsauftrag tatsächlich jahrelang nicht ausgeführt hat, kann für sich gesehen nicht zum automatischen Wegfall des Versorgungsauftrags führen.

6. Überlegungen zu Aspekten wie „Treu und Glauben“ oder Verwirkung iSv § 242 BGB greifen nicht durch.

7. Der streitgegenständliche Versorgungsauftrag ist auch nicht wegen einer fehlenden Nachbesetzung iSv § 5 Abs 7 Buchst c S 7 der „Vereinbarung gemäß § 135 Abs 2 SGB V zur Ausführung und Abrechnung von Blutreinigungsverfahren (Qualitätssicherungsvereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren)“ (Anl 3 BMV-Ä) erloschen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.11.2021; Aktenzeichen B 6 KA 13/20 R)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 7.

3. Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Feststellung hinsichtlich des Nichtbestehens eines Versorgungsauftrages zugunsten einer Konkurrentin.

Die Klägerin betreibt eine Dialysepraxis im saarländischen A-Stadt, deren Infrastruktur auf die kontinuierliche Versorgung von mindestens 200 Patienten mit allen Arten und Formen von Blutreinigungsverfahren ausgelegt ist. Sie verfügt derzeit über drei bestandskräftige, besondere Versorgungsaufträge im Sinne von Anlage 9.1 BMV-Ä und über mindestens 20 im Rechtssinne freie Dialyseplätze. Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Klageerhebung eine Berufsausübungsgemeinschaft („BAG“) von drei Fachärzten für Innere Medizin mit Schwerpunkt Nephrologie, welche zur vertragsärztlichen Versorgung zu- und am Vertragsarztsitz A-Straße in A-Stadt niedergelassen waren. Zum 1.4.2018 ging diese in der neu gegründeten „A.“ auf, welche durch ihren Geschäftsführer Dr. Go. vertreten wird.

Die Beigeladene zu 1 verfügte ab Gründung über einen besonderen Versorgungsauftrag, ihre Zulassung erfolgte für einen Vertragsarztsitz in D-Stadt. Alleingesellschafterin der Beigeladenen zu 1 ist die Arbeitsgemeinschaft Heimdialyse e.V (im Folgenden: „AG H.“).

Dr. Bo. und Dr. St. unterhielten ebenfalls in D-Stadt eine Dialysegemeinschaftspraxis in Form einer BAG, welche auf Grundlage der Bestandsschutzvorschrift des § 8 Anlage 9.1 BMV-Ä über zwei besondere Versorgungsaufträge verfügte. Mit Schreiben vom 23.3.2011 teilte Dr. St. der Beklagten mit (Bl. 33 d.A.):

„..ich beabsichtige, die langjährige und gute Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Bo. in der Form der Gemeinschaftspraxis zu beenden und meine Praxis von dem jetzigen Standort Wa. in D-Stadt nach St. I. in die S.-Straße zu verlegen. Ich beantrage in diesem Zusammenhang die Genehmigung der Übernahme eines Versorgungsauftrages nach § 3 Abs....

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