Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. Leistung zur Teilhabe. stationäre Drogentherapie. Strafgefangener. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei Entscheidungen über die Bewilligung einer Leistung zur Teilhabe in Form einer stationären Drogentherapie kann die Bedeutung der persönlichen Freiheit aus Art 2 Abs 2 S 2 GG iVm Art 19 Abs 4 S 1 GG eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen, wenn eine vorzeitige Strafaussetzung zur Bewährung gem § 57 Abs 1 StGB in Betracht kommt.

2. § 12 Abs 1 Nr 5 SGB 6 steht einer Leistungsgewährung während der Haft, nicht aber einer Antragstellung aus der Haft für einen Leistungsgewährung im Anschluss an die Haft entgegen. (entgegen LSG Darmstadt vom 6.1.2011 - L 5 R 486/10 B ER)

 

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragssteller eine Zusage für eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Form einer stationären Drogentherapie zu erteilen.

2. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Dem Antragsteller wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für den ersten Rechtszug bewilligt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung einer Kostenzusage für eine Drogentherapie.

Der Antragsteller verbüßt zur Zeit eine vom Amtsgericht X-Stadt im August 2009 ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, weiter sind Freiheitsstrafen aufgrund von Bewährungswiderrufen notiert, von denen jeweils bereits zwei Drittel in der JVA A-Stadt (im Folgenden JVA) vollstreckt worden sind. Der Endstrafentermin bei Verbüßung sämtlicher Strafen wäre der 21.04.2013. Ab 20.01.2011 kommt gem. § 57 Abs. 1 StGB eine vorzeitige Aussetzung der Vollstreckung des Restes der zeitigen Freiheitsstrafen zur Bewährung in Betracht.

Das Amtsgericht X-Stadt hat bereits im Strafurteil seine Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Durchführung einer stationären Drogentherapie nach § 35 BtMG erteilt, weil die (letzte) Verurteilung auf die Drogenabhängigkeit des Antragstellers zurückzuführen sei.

Der Antragsteller bemüht sich seit Haftantritt um einen Therapieplatz. Bereits im September 2009 erhielt er eine Zusage für einen Therapieplatz von der Fachklinik Y. in Z.

Eine Zurückstellung der Strafverfolgung gem. § 35 BtMG wurde durch die Staatsanwaltschaft X-Stadt mit Bescheid vom 23.04.2010 abgelehnt, weil neben der letzten durch das Amtsgericht X-Stadt ausgesprochenen Verurteilung weitere Strafen bzw. Strafarreste zu verbüßen seien, welche nicht zurückstellungsfähig seien.

In der Haft hat der Antragsteller einen Drogenrückfallpräventionskurs und einen sozialen Trainingskurs erfolgreich absolviert.

Im Hinblick auf eine mögliche vorzeitige Aussetzung der Vollstreckung des Restes der zeitigen Freiheitsstrafen zur Bewährung gem. § 57 Abs. 1 StGB ab dem 20.01.2011, beantragte der Antragsteller am 10.11.2010 eine Kostenzusage für eine stationäre Drogentherapie bei der der Antragsgegnerin.

Mit Bescheid vom 22.11.2010 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag unter Hinweis auf § 12 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI ab. Eine Leistungsgewährung käme für Versicherte, die sich im Vollzug einer Freiheitsstrafe befänden, nicht in Betracht.

Am 25.11.2010 hat der Antragsteller gegen den Bescheid vom 26.07.2010 Widerspruch erhoben. Den Widerspruch hat der Leiter der JVA mit Schreiben vom 29.11.2010 an die Antragsgegnerin weitergeleitet. Darin heißt es u.a.:

(…) in Anlage übersende ich Ihnen den Widerspruch des Obengenannten, der von der Suchtberatung unterstützt wird.

Aus hiesiger Sicht ist eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vor dem Hintergrund einer Delinquenzvermeidung, einer Suchtmittelfreiheit sowie der dringend erforderlichen sozialen und beruflichen Integration nachdrücklich angezeigt und wird ausdrücklich empfohlen.

Herr A. beabsichtigt die beantragte stationäre Maßnahme nicht während seiner Haftzeit, sondern im Anschluss daran anzutreten, so dass der von Ihnen ausgeführte § 12 Abs. 1 Nr. 5 des SGB VI für ihn nicht zutrifft.

Herr A. hat in der Vergangenheit noch keine suchttherapeutische Maßnahme absolviert und wird, sobald eine Kostenzusage erteilt wurde, die Strafaussetzung gem. § 57 StGB beantragen, um eine solche antreten zu können. (…)

Es wird gebeten, den Antrag Herrn A. auf Kostenübernahme unter Berücksichtigung des dargelegten Sachstandes schnellstmöglich erneut zu prüfen.

Um weitere Ablehnungsbescheide in dieser Form vorzubeugen, möchten wir Sie zudem bitten, die Vorgehensweise allgemein zu überprüfen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.01.2011 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Beim Antragsteller seien zwar die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gem. § 11 SGB VI erfüllt, jedoch sei eine Leistungsgewährung aufgrund des Ausschlusstatbestandes des § 12 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI nicht möglich.

Wörtlich heißt es im Widerspruchsbescheid:

Nach der Haftentlassung kann erneut ein...

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