Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Rentenversicherung: Rente wegen Erwerbsminderung. Auswirkungen der Nichtdurchführung einer psychotherapeutische Behandlung auf eine Erwerbsminderungsrente. Anforderung an die Befristung einer Erwerbsminderungsrente. Verwertbarkeit eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens bei Anwesenheit eines nahen Angehörigen der Testperson bei einer testpsychologischen Diagnostik

 

Orientierungssatz

1. Ein psychiatrisches Sachverständigengutachtens im Rahmen eines sozialgerichtlichen Verfahrens zur Beurteilung einer Erwerbsminderung ist nicht schon deshalb unverwertbar, da bei der testpsychologischen Diagnostik des Betroffenen ein Angehöriger mit anwesend war, ohne in diese einzugreifen.

2. Eine Renten wegen Erwerbsminderung aufgrund eines psychischen Leidens ist nicht schon allein deshalb zu versagen, weil vom Betroffenen eine psychotherapeutische Behandlung nicht durchgeführt wurde.

3. Ist eine Verbesserung des Leistungsvermögens bei einer festgestellten Erwerbsminderung für die Zukunft jedenfalls nicht unwahrscheinlich, so ist die Weitergewährung einer Rente wegen der Erwerbsminderung zu befristen. Lief der letzte Befristungszeitraum ab, bevor in einem anhängigen Rechtsstreit über die Weitergewährung der Rente eine Entscheidung erfolgte, so ist bei Feststellung der Weitergewährung ein weiterer Verlängerungszeitraum unmittelbar anzuschließen, wobei das Gericht die Länge des Zeitraums auch kürzer als drei Jahre festlegen kann.

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 08.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2019 verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit über den 31.03.2018 hinaus bis zum 31.03.2023 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen weiter zu gewähren.

Die Beklagte trägt die Kosten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Weitergewährung von Rente wegen Erwerbsminderung über den Monat März 2018 hinaus.

Der 1975 geborene Kläger ist in zweiter Ehe verheiratet. Seine zweite Ehefrau ist gleichzeitig seine gesetzliche Betreuerin in den Angelegenheiten der Gesundheitsfürsorge, Vermögensangelegenheiten und Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern (Beschluss Amtsgericht Herne vom 21.04.2016). Mittlerweile wurde bei dem Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) i.H.v. 60 sowie der Pflegegrad zwei festgestellt.

In der Vergangenheit gewährte ihm die Beklagte Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.07.2014, welche mehrfach bis zum 31.03.2018 verlängert wurde.

Im August 2017 beantragte der Kläger die Weitergewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Daraufhin nahm die Beklagte Ermittlungen zum Gesundheitszustand des Klägers auf und veranlasste zur Feststellung des Leistungsvermögens eine Untersuchung durch Dr. A (Arzt für Nervenheilkunde) am 15.02.2018.

Mit Bescheid vom 08.03.2018 lehnte die Beklagte den Weiterzahlungsantrag ab. Zwar sei die Gesundheit des Klägers vor allem durch eine leichte bis mittelschwere depressive Episode im Rahmen einer wiederholten depressiven Störung, emotional-instabile Persönlichkeit (Borderline-Typ), körperliche Störung mit seelischen Faktoren sowie Bluthochdruck beeinträchtigt, allerdings würden die hiermit verbundenen Einschränkungen nicht mehr zu einem Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung führen. Der Kläger sei wieder in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein.

Hiergegen erhob der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend, dass er sich nicht mehr in der Lage sehe, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Er müsse eine Fülle an Medikamenten einnehmen und stehe mittlerweile auch unter Betreuung durch seine Ehefrau. Aufgrund seiner psychischen Erkrankung erscheine eine Leistungsfähigkeit über sechs Stunden täglich unzumutbar.

Daraufhin veranlasste die Beklagte eine Maßnahme zur stationären Rehabilitation in der Fachklinik Hochsauerland. Anschließend zog sie den Entlassungsbericht vom 02.11.2018 bei und ließ ihn von ihrer sozialmedizinischen Abteilung auswerten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.02.2019 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Zwar hätte die durchgeführte stationäre Heilbehandlung weitere Befunde (wiederkehrende Beschwerden der Wirbelsäule, wiederkehrende Gelenkbeschwerden und Muskelverspannungen, Cannabis-Konsum (gelegentlich)) ergeben, allerdings seien auch hiermit leidensgerechte Tätigkeiten weiterhin vollschichtig möglich.

Am 18.03.2019 hat der Kläger Klage erhoben und verfolgt sein Weiterzahlungsbegehren fort. Er macht im Wesentlichen geltend, dass sein Gesundheitszustand fehlerhaft bewertet worden sei. Seine gesundheitlichen Beschwerden hätten sich im Laufe der Zeit nicht verbessert, sondern verschlechtert. Er vermisse eine ausführliche Exploration. Mittlerweile sei er auch auf einen Ro...

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