Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Leistungen der Grundsicherung bei sozialwidrigem Verhalten des Leistungsempfängers
Orientierungssatz
1. Nach § 34 Abs. 1 SGB 2 ist derjenige, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen des SGB 2 ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. Der Ersatzanspruch setzt voraus, dass das Verhalten des Ersatzpflichtigen objektiv sozialwidrig gewesen ist.
2. Die Aufgabe eines unbefristeten Beschäftigungsverhältnisses in Polen, um den Wohnsitz nach Deutschland zu verlagern, ohne Aussicht auf einen Anschlussarbeitsplatz, ist nach den Wertungsmaßstäben des SGB 2 zu missbilligen und damit sozialwidrig.
3. Dem Antragsteller ist es zuzumuten, sich in Polen um den Erwerb von Deutschkenntnissen zu bemühen und anschließend von dort aus einen Arbeitsplatz in Deutschland zu suchen.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen einen Ersatzanspruch, den der Beklagte nach Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) geltend macht.
Die 1983 geborene Klägerin zu 1) und der 1979 geborene Kläger zu 2) und ihre beiden 2009 und 2011 geborenen Kinder reisten erstmals am 19.10.2015 aus Polen in die Bundesrepublik. Die Klägerin zu 1) und ihre beiden Kinder sind deutsche Staatsangehörige. Der Kläger zu 2) ist polnischer Staatsangehöriger. In Polen hatten die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 2) über unbefristete Arbeitsverträge verfügt, die sie aufgrund ihrer Ausreise gekündigt hatten.
Am 21.10.2015 beantragten die Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei dem Beklagten. Sie gaben in Begleitung des Zeugen Q an, ihre jeweiligen Beschäftigungen in Polen zum 16.10.2015 wegen der Ausreise nach Deutschland gekündigt zu haben.
Am 26.10.2015 erfolgte eine weitere Vorsprache durch den Kläger zu 2) in Begleitung des Zeugen Q. Hierzu fertigte die Mitarbeiterin des Beklagten, die Zeugin T (geb. U), eine Erklärungsniederschrift, die von ihr, dem Zeugen Q als Übersetzer und von dem Kläger zu 2) unterschrieben wurde, mit folgendem Inhalt:
"[ ] In Polen hatten ich und meine Frau eine Arbeitsstelle. Der letzte Lohn betrug zirka 1.500 Sloty jeweils für den ganzen Monat (also insgesamt ca. 700,00 EUR). Diese Stelle habe ich jedoch aus ökonomischen Gründen gekündigt und bin deshalb nach Deutschland eingereist, um Leistungen zu beantragen. Das Geld in Polen hat nicht gereicht um unseren Lebensunterhalt zu finanzieren. Deshalb sind wir hier eingereist. Eine Arbeitsstelle habe ich hier noch nicht in Aussicht. Die Einreise erfolgte mit der Absicht hier einen verbesserten Lebensstandard zu erreichen. [ ]
Hiermit bestätige ich, dass mir die Erklärungsniederschrift vollständig übersetzt wurde und dass ich den Inhalt komplett verstanden habe."
Am 23.11.2015 sprachen die Kläger in Begleitung des Zeugen R, einem Inhaber eines Übersetzungsbüros, erneut vor. Hierzu fertigte die Zeugin Schneider folgende Erklärungsniederschrift:
"[ ] Mir wurde heute erklärt, dass eine Kostenersatzpflicht geprüft wird. Mir wurde das Verfahren hierzu erläutert. Sowohl meine Frau als auch ich haben unsere Arbeitsstellen in Polen gekündigt um nun hier Leistungen zu beantragen.
Ich habe die Erklärungsniederschrift verstanden. Sie wurde mir vollständig übersetzt."
Die Erklärungsniederschrift wurde von den Zeugen T und R sowie von den Klägern unterschrieben.
Zudem reichten die Kläger u.a. eine Kopie des Arbeitsvertrages der Klägerin zu 1), eine Bescheinigung über den Arbeitsvertrag des Klägers zu 2) in polnischer Sprache sowie die durch den Zeugen R gefertigte Übersetzungen ein. Danach verfügte die Klägerin zu 1) seit dem 01.10.2015 über eine unbefristete Anstellung als Verkäuferin/Kassiererin mit einem monatlichen Grundgehalt von 2.100,00 Zloty, und der Kläger zu 2) über eine zum 31.10.2015 aufgelöste Anstellung als Kraftfahrzeugführer mit einem monatlichen Gehalt von 1.900,00 Zloty.
Mit Bescheid vom 01.12.2015 bewilligte der Beklagte den Klägern und ihren Kindern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Bewilligungsabschnitt 19.10.2015 bis 31.03.2016.
Mit jeweils getrennten Schreiben vom 09.12.2015 hörte der Beklagte die Kläger zu einer Geltendmachung eines Ersatzanspruches bei sozialwidrigem Verhalten an. Nach seiner Kenntnis hätten die Kläger ihre und die Hilfebedürftigkeit ihrer Kinder möglicherweise vorsätzlich oder grob fahrlässig sowie ohne wichtigen Grund herbeigeführt. Die Kläger hätten ihre Arbeitsplätze in Polen gekündigt, um nach Deutschland einzureisen und Sozialleistungen zu beziehen. Die Klägerin zu 1) habe eine Arbeitsstelle bei der Firma K, die sie gekündigt habe, ausgeübt. Der Kläger zu 2) habe seit dem Jahr 2012 eine Beschäftigung bei der Firma U gehabt. Auch diese Beschäftigung sei gekündigt w...