Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Ablehnung der Erstattung der Vorverfahrenskosten wegen geringfügiger Erfolgsquote
Leitsatz (amtlich)
1. Der Rechtsgedanke des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist auch auf den Bereich der Kostentragung nach § 63 SGB X übertragbar.
2. Nach dem De-Minimis-Grundsatz entfällt die Kostentragungspflicht der Behörde für ein Widerspruchsverfahren, bei dem der Obsiegensanteil des Widerspruchsführers bei lediglich 0,97 % und die Höhe des "Gewinns" bei insgesamt 1,88 € liegt.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind die Kosten eines Widerspruchsverfahrens, das zu einer Erhöhung der an die Klägerin erbrachten Leistungen im Zeitraum von Mai bis August 2010 um insgesamt 1,88 € geführt hat.
Die 1962 geborene Klägerin und ihre Tochter, Jahrgang 1989, bezogen von dem beklagten Jobcenter laufend Leistungen nach dem SGB II. Sie bewohnten bis zum 28. April 2010 gemeinsam eine Mietwohnung in E., für die monatlich eine Gesamtmiete von 400,00 € zu entrichten war, bestehend aus der Kaltmiete in Höhe von 290,00 € nebst Betriebskosten in Höhe von 49,50 € und Heizkosten in Höhe von 60,50 €.
Nach dem Auszug der Tochter aus dem mütterlichen Haushalt am 28. April 2010 hatte der Beklagte den Änderungsbescheid vom 21. Mai 2010 erlassen. Darin war nach Berücksichtigung von insgesamt 578,82 € Einkommen für den Zeitraum vom 1. bis zum 28. April 2010 zugunsten der Klägerin ein Leistungsbetrag von insgesamt 386,57 € ausgewiesen, während sich die für ihre Tochter bewilligte Leistung auf 0,01 € für Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) beschränkte. Für den Zeitraum vom 29. bis zum 30. April 2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin insgesamt 52,16 € (25,93 € Regelleistung und 26,23 € KdU), und vom 1. Mai bis zum 30. September 2010 gleichbleibend 752,53 €, bestehend aus 359,00 € Regelleistung und 393,53 € KdU.
Mit Schreiben vom 26. Oktober 2010 ließen die Klägerin und ihre Tochter durch ihren Prozessbevollmächtigten einen Antrag auf Überprüfung des Änderungsbescheides vom 21. Mai 2010 gem. § 44 SGB X stellen, den der Beklagte unter dem 15. März 2011 negativ beschied. Dagegen ließen sie mit Schreiben vom 13. April 2011 Widerspruch einlegen und zur Begründung ausführen, der Bescheid sei “bereits wegen des Verstoßes gegen die Rundungsvorschrift des § 41 Abs. 2 SGB II„ rechtswidrig, weil nach dieser Vorschrift (in der damals geltenden Fassung) und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Anspruch auf Rundung der Endzahlbeträge der Leistungen bestehe. Die von dem Beklagten berücksichtigten KdU entsprächen nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Die aus der Regelleistung zu bestreitenden Anteile für die Warmwasserbereitung dürften nicht als Summe, sondern sie müssten für jeden Bewohner individuell von den auf ihn anteilig entfallenden Heizkosten abgezogen werden.
Der Beklagte wurde auf seine “gesetzliche Pflicht zur umfassenden inhaltlichen und rechtlichen Prüfung und Aufschlüsselung„ verweisen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2011änderte der Beklagte den Überprüfungsbescheid vom 15. März 2010 ab und erhöhte die an die Klägerin von Mai bis August 2010 gewährten Leistungen um Rundungsdifferenzen von insgesamt 1,88 €. Im Übrigen wies er den Widerspruch als unbegründet zurück und entschied, die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen könnten nicht erstattet werden.
Am 29. August 2011 haben die Klägerin und ihre Tochter beim Sozialgericht Gotha Klage erheben lassen mit den Anträgen, (1) den Beklagten zu verurteilen, ihrem Bevollmächtigten Akteneinsicht durch Übersendung der Leistungsakten zu gewähren, (2) den Überprüfungsbescheid vom 15. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2011 abzuändern und ihnen Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen sowie (3) den Beklagten unter Abänderung der Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2011 zur Übernahme ihrer notwendigen außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten zu verpflichten und festzustellen, dass die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren notwendig war. Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2012 haben sie klarstellen lassen, dass nur noch die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2011 angefochten werde. Mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2013 hat die Tochter der Klägerin die Klage zurückgenommen.
Die Klägerin lässt vortragen, eine Versagung der Kostenerstattung vor dem Hintergrund des § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X sei unbillig, weil der Widerspruch in Bezug auf die Rundung Erfolg gehabt habe. Ein Bagatellisieren von Ansprüchen aus dem SGB II lasse sich nicht aus dem SGG ableiten. Die Hinzuziehung ihres Prozessbevollmächtigten sei erforderlich gewesen. Sie könne nach der Rechtsprechung des BSG nur ausnahmsweise verneint werden. Im Bereich des SGB II seien die Rechtsmaterie und Leistungsbescheide in ihrem Regelungsgehalt für ei...