Entscheidungsstichwort (Thema)

seelisch behinderte Menschen. teilstationäre Betreuung in Tagesstätte. Nachrang der Sozialhilfe. Verhältnis zu Leistungen zur Eingliederung nach dem SGB II. Erwerbsfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Behinderte Menschen können im Einzelfall bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch dann Anspruch auf Leistungen zur Eingliederung nach den §§ 53, 54 SGB XII (hier: teilstationäre Betreuung in einer Tagesstätte für seelisch Behinderte infolge Sucht) haben, wenn sie erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II sind und Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende beziehen. Insbesondere entfällt der Anspruch auf Eingliederungsleistungen nicht generell durch den in § 2 Abs. 1 SGB XII normierten Nachrang der Sozialhilfe. Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem SGB XII sind umfassender als die in § 16 SGB II geregelten Leistungen, die vordergründig der Eingliederung in Arbeit dienen sollen. Zweck der Leistungen der Eingliederungshilfe nach den §§ 53, 54 SGB XII ist die Verhütung einer drohenden Behinderung oder die Beseitigung einer Behinderung oder deren Folgen und die Eingliederung der behinderten Menschen in die Gesellschaft.

 

Normenkette

SGB II § 5 Abs. 2, § 8 Abs. 1, § 16; SGB XII §§ 2, 53-54; SGB IX § 55

 

Tenor

Die Antragsgegnerin wird vorläufig bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides in der Sache verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 24.07.2006 Sozialhilfe in Form der Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für den Besuch der Tagesstätte … 06667 Weißenfels zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin sind zu erstatten.

 

Tatbestand

I.

Die Antragstellerin begehrt im Weg des einstweiligen Rechtsschutzes die Weitergewährung von Leistungen der teilstationären Eingliederungshilfe in der Tagesstätte für seelisch behinderte Menschen infolge Sucht … in Weißenfels.

Die am … geborene Antragstellerin leidet unter einer Alkoholabhängigkeit. Sie bezieht zurzeit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch-Zweites Buch (SGB II).

Nach einem Sozialbericht des Deutschen Roten Kreuzes vom 19.07.2004 besteht bei der Antragstellerin ein seit Jahren bekanntes Alkoholproblem. Zum damaligen Zeitpunkt habe die Klägerin ca. 8 – 10 Flaschen Bier, gelegentlich auch Schnaps über den Tag verteilt getrunken. Vom 06.09.2004 bis 27.12.2004 befand sich die Antragstellerin in einer stationärer Entwöhnungsbehandlung und vom 10.02.2005 bis 05.05.2005 in einer stationären Adaptionsbehandlung in der Rehabilitationsfachklinik … in Magdeburg. Bereits am 08.11.2004 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Aufnahme in die Tagesstätte für seelisch Behinderte infolge Sucht … Mit Schreiben vom 09.12.2004 der Rehabilitationsfachklinik … wurde auf den Antrag Bezug genommen und ausgeführt, dass der Besuch der Tagesstätte mit Beschäftigungsangeboten, Abstinenzkontrollen und therapeutischen Hilfen zur weiteren Stabilisierung beitragen und den Rückfall in alte Verhaltensmuster – wie dem Alkoholmissbrauch – vorbeugen würde. Aus ärztlicher und therapeutischer Sicht sei der Besuch der Tagesstätte indiziert. Eine Woche nach Entlassung aus der Rehabilitationsfachklinik … begann die Antragstellerin wieder, Alkohol zu konsumieren. Daraufhin kam es am 28.05.2005 zu einer stationären Aufnahme in das Krankenhaus Weißenfels mit den Aufnahmediagnosen Alkoholabhängigkeit und Gastritis. Anschließend erfolgte eine stationäre psychiatrische Behandlung im … Klinikum in Naumburg. Die behandelnden Ärzte des Klinikums empfahlen im Entlassungsbericht vom 05.07.2005 regelmäßige Kontakte zur Suchtberatungsstelle und zur Tagesstätte in Weißenfels. Perspektivisch solle für die Antragstellerin, deren Ressourcen hinsichtlich einer längerfristigen Alkoholabstinenz in ungeschützter Umgebung eher als begrenzt einzuschätzen sei, eine Therapie in einer Übergangseinrichtung in Betracht gezogen werden. Am 06.06.2005 erfolgte die Aufnahme der Antragstellerin in die teilstationäre Betreuung der Tagesstätte … Nach der von der Antragsgegnerin eingeholten amtsärztlichen Stellungnahme des Gesundheitsamtes … vom 26.07.2005 hat die Antragstellerin angegeben, dass sie seit dem 15. Lebensjahr regelmäßig Alkohol trinke. Dabei sei es zu einer kontinuierlichen Steigerung der Trinkmenge gekommen, so dass sie bis zu einem Kasten Bier und eine halbe Flasche Schnaps pro Tag trinken könne. Es seien zahlreiche Entgiftungsbehandlungen, auch mehrere stationäre Aufenthalte wegen Alkoholvergiftungen erfolgt. Die Klägerin leide an einem chronischen Alkoholismus. Es bestehe eine wesentliche Behinderung infolge Sucht, wobei momentan davon auszugehen sei, dass die Antragstellerin seit Ende Mai 2005 “trocken” sei. Die Antragstellerin sei aus eigener Kraft, auch unter ständiger Hilfe der Suchtberatung, nicht in der Lage, alkoholabstinent zu bleiben. Eine Eingliederung in die Tagesstätte für suchtkranke Menschen sei zu empfehlen, wobei das Ziel sein müsse, der ...

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