Leitsatz (amtlich)

Die im System der gesetzlichen Krankenversicherung fehlende Anerkennung der neuropsychologischen Therapie für den Anwendungsbereich „hirnorganische Störungen” bei Erwachsenen stellt offenbar ein Systemversagen mit einer zugunsten der Versicherten zu schließenden Versorgungslücke dar.

 

Tenor

Die Antragsgegnerin hat einstweilen Kosten für zunächst 20 Sitzungen neuropsychologischer Therapie bei dem Neuropsychologen Dipl-Psych. P. zu übernehmen.

Sofern die Antragstellerin nach Beurteilung ihres behandelnden Neurologen und ihres Neuropsychologen nach diesen 20 Sitzungen tatsächlich noch weiterer Neuropsychologie bedürfen sollte, hat die Antragsgegnerin nach Einholung einer Stellungnahme des MDK einen neuen Bescheid zu erteilen.

Der Antragstellerin durch dieses Eilverfahren notwendig entstandene Kosten hat die Antragsgegnerin ihr auf Antrag zu erstatten.

 

Tatbestand

I.

Die Antragstellerin erlitt am 24.07.2001 einen Schlaganfall, wurde vom 27.07.2001 bis 14.08.2001 im AK H. stationär behandelt und war anschließend ab 16.08.2001 – mit zwischenzeitlich einer weiteren einwöchigen stationären Behandlung im AK H. – bis 08.11.2001 in der Reha in Bad S., wo eine neuropsychologische Therapie begonnen und ambulant fortzusetzen dringend empfohlen wurde.

Am 28.11.2001 begann sie eine außervertragliche neuropsychologische Therapie bei dem Dipl-Psychologen P., die nach dem Behandlungsplan 40 Therapieeinheiten umfassen sollte.

Auf den Antrag, Kosten dieser Therapie zu übernehmen, befragte die Antragsgegnerin den MDK, für den der Nervenarzt Dr. Sch. am 04.07.2002 erklärte:

„Neuropsycholog. Behandlung (wie beantragt vorerst 40 Sitzungen) ist med. notwendig und angemessen”.

Mit Schreiben vom 08.07.2002 übernahm die Antragsgegnerin die Kosten für „2 – 5 probatorische Sitzungen sowie 20 reguläre Sitzungen”.

Mit Schreiben vom 02.02.2003 beantragte P. im Namen der Antragstellerin die Kostenübernahme für weitere 45 Therapieeinheiten; der Vertragsarzt Dr. B. bescheinigte dazu am 04.02.2003 eine wegen Hirnleistungsstörung erforderliche Weiterführung der Therapie.

Mit Bescheid vom 11.02.2003 lehnte die Antragsgegnerin eine weitere Kostenübernahme ab, weil die neuropsychologische Therapie keinen Eingang in die vertragsärztliche Versorgung gefunden habe.

Im März beantragte P. für die Antragstellerin eine Verhaltenstherapie als Langzeittherapie mit voraussichtlich 45 Stunden.

Mit Bescheid vom 08.04.2003 lehnte die Antragsgegnerin eine Kostenübernahme für eine Psychotherapie bei P. ab, weil er nicht zur vertragspsychotherapeutischen Behandlung zugelassen sei; zugleich nannte sie die Dipl-Psych. F. als Vertragsbehandlerin mit noch freien Therapieplätzen.

Dagegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 26.04.2003 Widerspruch ein: Sie wolle ihre Therapie bei P. fortsetzen. F. schrieb der Antragsgegnerin unter dem 05.05.2003, sie habe weder eine neuropsychologische Ausbildung, noch sei sie auf Schlaganfallpatienten spezialisiert, zudem sei es der Antragstellerin fast unmöglich, die Treppen zu ihr in die Praxis hoch zu kommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2003 bemerkte die Antragsgegnerin, daß es sich bei dem Widerspruch sinngemäß um einen Antrag auf Neufeststellung der mit Bescheid vom 11.02.2002 erfolgten Ablehnung handele, diese Ablehnung indessen nicht zu beanstanden sei.

Mit ihrem zugleich mit ihrer in der Hauptsache erhobenen Klage S 23 KR 982/03 gestellten Antrag beantragt die Antragstellerin, die Antragsgegnerin einstweilen zu verpflichten, die Kosten für die weitere neuropsychologische Therapie zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Nach § 86b Abs 2 SGG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Die ambulante neuropsychologische Behandlung ist allerdings eine „neue”, im System der gesetzlichen Krankenversicherung – noch – nicht anerkannte Methode, und nach § 135 Abs 1 SGB V dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zulasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden dürfen, wenn der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V – bei denen es sich um untergesetzliche Rechtsnormen handelt, die in Verbindung mit § 135 Abs 1 SGB V verbindlich festlegen, welche neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden Gegenstand der Leistungspflicht der Krankenkassen sind (vgl. BSG 16.09.1997 – 1 RK 32/95 = SozR 3-2500 § 92) – Empfehlungen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode gegeben hat.

Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen hat bislang auch noch keine positive Entscheidung zur neurologischen Therapie getroffen.

Ein Kostenübernahmeanspruch kommt indessen nach der Rechtsprechung des BSG auch in solchem Fall ausnahmsweise in Betracht, wenn nämlich die fehlende ...

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