Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Arbeitnehmerüberlassung. Haftung. Entleiher. Beitragszahlungspflicht des Verleihers. vorläufige Insolvenz des Verleihers. Beitragszahlung für Insolvenzgeldzeitraum durch Arbeitsamt

 

Orientierungssatz

1. Die Haftung eines Entleihers für die Erfüllung der Beitragszahlungspflicht der Verleihers entfällt nicht bei vorläufiger Insolvenz über das Vermögen des Verleihers.

2. Die Haftung des Entleihers entfällt nicht aufgrund des Umstandes, dass das Arbeitsamt die Beiträge für den Insolvenzgeldzeitraum an die Krankenkasse gezahlt hat.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.03.2007; Aktenzeichen B 12 KR 11/06 R)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin verpflichtet ist, Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 3.628,62 € für entliehene Arbeitnehmer zu zahlen.

Die Klägerin hatte u. a. für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis 5. April 2002 die bei der Beklagten versicherten Arbeitnehmer M (M.), W (W.) und Mo (Mo.) von dem zugelassenen Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen GPI P. GmbH (GPI) entliehen. Die GPI zahlte die Sozialversicherungsbeiträge für die Monate Januar 2002 bis März 2002 trotz Mahnungen seitens der Beklagten nicht. Auch die Sozialversicherungsbeiträge für den Monat April 2002 wurden von der GPI nicht gezahlt.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 28. März 2002 wurde in dem Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der GPI Rechtsanwalt T zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und u. a. beauftragt, gutachterlich zu prüfen, welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens bestehen. Den im Rahmen der Vorfinanzierung der von der GPI zu zahlenden Arbeitsentgelte erfolgten Abtretungen stimmte das Arbeitsamt Hamburg hinsichtlich der Monate Februar und März 2002 mit Bescheid vom 3. April 2002 und bezüglich des Monats April 2002 mit Bescheid vom 25. April 2002 zu. Die der GPI erteilte Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung wurde mit Bescheid des Landesarbeitsamtes Nord vom 25. April 2002 mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Mit weiterem Bescheid vom 25. April 2002 teilte das Landesarbeitsamt Hamburg der GPI mit, dass gegen die Aussetzung des Widerrufsbescheides keine Bedenken bestehen würden.

Mit Schreiben vom 2. April 2002 teilte der vorläufige Insolvenzverwalter Rechtsanwalt T den Kunden der GPI mit, dass die Löhne und Gehälter sowie die Sozialversicherungsbeiträge für die Mitarbeiter der GPI zurzeit durch die Insolvenzgeldansprüche gegenüber dem Arbeitsamt Hamburg gesichert seien. Auch für die Zukunft seien die Löhne und Gehälter sowie die Sozialversicherungsbeiträge, die von ihm getragen würden, gesichert. Mit weiterem Schreiben vom 19. April 2002 teilte Rechtsanwalt T den Kunden der GPI mit, dass eine Haftung für Sozialversicherungsbeiträge der GPI gemäß § 28e Abs. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) nicht in Betracht komme.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 1. Mai 2002 wurde wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung über das Vermögen der GPI am 1. Mai 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet.

Mit Bescheid vom 14. August 2003 in der Fassung des Bescheides vom 27. August 2003 und des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2003 - zugegangen am 30. Dezember 2003 - machte die Beklagte gegenüber der Klägerin unter Hinweis auf § 28e Abs. 2 SGB IV Sozialversicherungsbeiträge für die Arbeitnehmer M. und W. vom 1. Januar 2002 bis 15. März 2002 und für den Arbeitnehmer Mo. vom 1. Januar 2002 bis 8. Februar 2002 und vom 18. März 2002 bis 5. April 2002 in Höhe von insgesamt 3.628,62 € geltend.

Die Sozialversicherungsbeiträge für die bei der GPI beschäftigten und bei der Beklagten versicherten Arbeitnehmer wurden vom Arbeitsamt an die Klägerin für die Monate Februar 2002 bis April 2002 gemäß § 208 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gezahlt.

Die Klägerin hat am 29. Januar 2004 Klage erhoben. Sie hat vorgetragen, dass bis zu einer Gesetzesänderung die Vorschriften der §§ 208 Abs. 2 Satz 1 SGB III, 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV teleologisch dahingehend zu reduzieren seien, dass eine Subsidiärhaftung des Entleihers nicht in Betracht komme, wenn - wie in ihrem Fall -

1.

eine eingeschränkte vorläufige Insolvenzverwaltung über das Vermögen des Verleihers mit Verpflichtung zur Betriebsfortführung angeordnet worden sei,

2.

das zuständige Landesarbeitsamt die dem Verleiher erteilte Erlaubnis zur Überlassung der Arbeitnehmer nicht widerrufen oder einen bereits erfolgten Widerruf aussetze und

3.

das zuständige Arbeitsamt der Vorfinanzierung von Insolvenzgeld zugestimmt habe.

Den Haftungsausschluss des Entleihers im Falle einer vorläufigen Insolvenzverwaltung über das Vermögen des Verleihers begründet die Klägerin im Wesentlichen damit, dass die insolvenzrechtlich geforderte Betriebsfortführungspflicht im Widerspruch zu der in § 28e Abs. 2 SGB IV geregelten Haftung des Entleihers stehe. Das Haftungsrisiko des § 28 Abs. 2 SGB IV führe nämlich dazu, dass potentielle Entleiher nicht bereit seien, die für die Fortführung des Betriebes d...

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