Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Darlehen. Aufrechnungserklärung. hinreichende Bestimmtheit. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Zu den Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit einer Aufrechnungserklärung.
2. § 42a Abs 2 S 1 SGB 2 ist insofern verfassungskonform auszulegen, als dass die Aufrechnung in Anlehnung an § 43 Abs 4 S 2 SGB 2 spätestens drei Jahre nach dem Monat endet, der auf die Bestandskraft des Darlehensbescheides folgt.
Tenor
1. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger unter Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 14. November 2019 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 23. November 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2019 (17778/19) - insoweit er eine Aufrechnung i.H.v. 41,60 EUR monatlich für den Zeitraum 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020 beinhaltet - den wegen der Aufrechnung des Darlehens für die Zahlung von Genossenschaftsanteilen für seine Wohnung im ..., einbehaltenen Anteil seines Regelbedarfs i.H.v. insgesamt 499,20 EUR für den Zeitraum 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020 zu gewähren.
2. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II), für den Zeitraum 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020, insoweit sie eine Aufrechnung i.H.v. 41,60 EUR monatlich mit einer Darlehensforderung für Genossenschaftsanteile beinhaltet.
Der Beklagte bewilligte dem 1970 geborenen Kläger für dessen Umzug in seine aktuelle Wohnung im, am 3. September 2014 ein Darlehen für die Zahlung von Genossenschaftsanteilen i.H.v. 2.635,00 EUR (Darlehensbescheid, Bl. 60 d. Prozessakte (PA) S 39 AS 1991/19). Zur Sicherung des Darlehensrückzahlungsanspruches trat der Kläger dem Beklagten am 5. September 2014 seinen Anspruch auf Rückzahlung der Genossenschaftsanteile sowie seinen Anspruch auf Auszahlung der im Falle des Auszuges aus der Wohnung gekündigten Genossenschaftsanteile gegen die Wohnungsbaugenossenschaft G. e.G. ab (Abtretungsvertrag, Bl. 59 d. PA S 39 AS 1991/19). Mit Bescheid vom 15. September 2014 erklärte der Beklagte gegenüber dem Kläger die Aufrechnung (Aufrechnungsbescheid, Bl. 30 d. PA S 39 AS 1991/19). Darin hieß es wörtlich:
„Mit Bescheid vom 03.09.2014 wurde Ihnen ein Darlehen für Genossenschaftsanteile in Höhe von 2.635,00 € bewilligt.
Gem. § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung des Darlehens folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs getilgt, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen.
Der für Sie maßgebende Regelbedarf beträgt 391,00 €. Somit werden ab 01.10.2014 39,10 € gegen Ihre laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes aufgerechnet.
Die Auszahlung der monatlichen Leistungen an Sie mindert sich entsprechend.“
Der Beklagte rechnete in dem Zeitraum vom 1. Oktober 2014 bis 31. März 2021 mit den Leistungen nach dem SGB II des Klägers wie folgt auf (vgl. u.a. Bl. 117 d. ausgedr. elektr. Verwaltungsakte (VA)):
|
Jahr |
RGB |
Aufrechnung pro Monat |
% vom RGB |
Zeitraum |
Summe pro Zeitraum |
Getilgte Summe |
2014 |
391,00 EUR |
39,10 EUR |
10,00 |
01.10. - 31.12. |
117,30 EUR |
117,30 EUR |
2015 |
399,00 EUR |
39,10 EUR |
9,80 |
01.01. - 31.12. |
469,20 EUR |
586,50 EUR |
2016 |
404,00 EUR |
39,10 EUR |
9,68 |
01.01. - 29.02. |
78,20 EUR |
664,70 EUR |
20,20 EUR |
5,00 |
01.03. - 31.12. |
202,00 EUR |
866,70 EUR |
2017 |
409,00 EUR |
20,20 EUR |
5,00 |
01.01. - 31.12. |
242,40 EUR |
1.109,01 EUR |
2018 |
416,00 EUR |
- |
- |
01.01. - 28.02. |
- |
1.109,01 EUR |
41,60 EUR |
10,00 |
01.03. - 31.12. |
416,00 EUR |
1.525,10 EUR |
2019 |
424,00 EUR |
41,60 EUR |
9,81 |
01.01. - 31.12. |
499,20 EUR |
2.024,30 EUR |
2020 |
432,00 EUR |
41,60 EUR |
9,63 |
01.01. - 31.12. |
499,20 EUR |
2.523,50 EUR |
2021 |
446,00 EUR |
41,60 EUR |
9,33 |
01.01. - 31.03. |
124,80 EUR |
2.648,30 EUR |
Der Kläger wandte sich für die Zeiträume 1. März 2018 bis 31. Dezember 2019 sowie 1. Januar 2021 bis 31. März 2021 ebenfalls gegen die Aufrechnung seines Darlehens (vgl. Parallelverfahren S 39 AS 1991/19, S 39 AS 2085/19, S 39 AS 3888/19 und S 39 AS 1716/21).
Den am 29. April 2019 beim Sozialgericht Hamburg gestellten Antrag auf Verpflichtung des Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung, ggü. dem Kläger vorläufig für den Zeitraum 29. April 2019 bis Dezember 2019 nicht aus dem Aufrechnungsbescheid vom 15. September 2014 aufzurechnen, hatte keinen Erfolg (S 39 AS 1562/19 ER). Das Gericht wies zunächst mit Schreiben vom 17. Mai 2019 darauf hin, es bestünden verfassungsrechtliche Bedenken in Bezug auf den Aufrechnungsbescheid vom 15. September 2014, da dieser seine Aufrechnungsdauer nicht von Anfang an auf drei Jahre begrenzt habe und nahm Bezug auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28. November 2018 (B 14 AS 31/17 R) (Bl. 13 f. d. PA S 39 AS 1562/19 ER). Mit Beschluss vom 5. Juni 2019 lehnte das Gericht den Antrag des Klägers jedoch ab. Zur Begründung führte es aus, die hohen Voraussetzungen für die Rückn...