Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsleistung. Einstiegsgeld. ermessensfehlerhafte Leistungsablehnung für weitere 6 Monate

 

Leitsatz (amtlich)

Aus § 16b SGB II ergibt sich nahezu ein intendiertes Entschließungsermessen für die Gewährung von Einstiegsgeld bei Vorliegen der Voraussetzungen, solange nicht ein erheblich über dem Bedarf liegendes Einkommen erwirtschaftet wird. Angesichts des gesetzlichen Auftrags aus § 1 Abs 2 SGB II dürfte eine vollständige Ablehnung trotz Vorliegens der Voraussetzungen nur in Betracht kommen, wenn ein atypischer Sachverhalt vorliegt, mit einer kostenaufwändigeren Maßnahme ein gleichwertiger oder besserer Eingliederungserfolg erzielt werden kann und der Grundsicherungsträger bereit ist, diese Leistung zu gewähren, oder wenn eine sachgemäße und gleichmäßige Bewirtschaftung der für Eingliederungsmaßnahmen zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel eine Gewährung von Einstiegsgeld im Einzelfall nicht zulässt.

 

Tenor

1. Der Bescheid vom 23.10.2012 und der Widerspruchsbescheid vom 18.02.2013 werden aufgehoben.

2. Der Beklagte wird verurteilt, den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

3. Der Beklagte trägt 70 Prozent der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist in XXX geboren und besitzt die norwegische Staatsangehörigkeit. Sie begehrt die Verpflichtung des beklagten Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zur Gewährung von Einstiegsgeld für einen 6-Monats-Zeitraum, nachdem sie bereits für die vorangegangenen sechs Monate Einstiegsgeld für eine selbstständige Tätigkeit erhalten hatte, die Tätigkeit jedoch noch nicht aufgenommen hatte.

Die Klägerin bezieht seit 2007 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, teilweise unter Anrechnung von Erwerbseinkommen. Spätestens seit Herbst 2011 beabsichtigte die Klägerin, sich mit einem Modegeschäft selbstständig zu machen. Sie beantragte beim Beklagten am 24.10.2011 Leistungen zur Förderung der Selbstständigkeit, insbesondere die Gewährung von Einstiegsgeld sowie von Förderleistungen nach § 16c SGB II als Zuschuss und Darlehen. In diesem Zuge erstellte Sie u.a. einen Businessplan, der beim Beklagten eingereicht wurde. Weiterhin reichte sie eine positive Stellungnahme der Lawaetz-Stiftung zu ihrem Existenzgründungsvorhaben ein. In den im Februar 2012 eingereichten Antragsformularen wurde der 01.03.2012 als voraussichtlicher Beginn der selbstständigen Tätigkeit angegeben.

Am 20.02.2012 schlossen die Klägerin und der Beklagte eine Eingliederungsvereinbarung, in der die Förderung der Selbstständigkeit der Klägerin vereinbart wurde. Zu den Förderleistungen wurde insb. geregelt: “[Der Beklagte] gewährt Ihnen Einstiegsgeld gem. § 16b SGB II für maximal 6 Monate, in Höhe von monatlich 50% Ihrer Regelleistung, zur Förderung der Existenzgründung, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind und die erforderlichen Unterlagen vorliegen.„

Im Rahmen einer so genannten Fachlichen Feststellung hielt der Beklagte am 22.02.2012 fest, Einstiegsgeld sei dem Grunde nach zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich und die Hilfebedürftigkeit werde überwunden. Die Fachliche Feststellung führte zur Begründung aus, die Bewilligung der Leistungen erfolge noch unter Vorbehalt, da die Bewilligung der BASFI über das Kleinstkreditprogramm in Höhe von 10.300,- Euro noch ausstehe. Die Klägerin verfüge über die nötigen Qualifikationen, um ein Geschäft wie das geplante erfolgreich zu führen, da sie bereits in den 1990er Jahren über vier Jahre einen ähnlichen Laden in N. hatte, welcher aus privaten Gründen geschlossen wurde. Um sich mit den kaufmännischen Gegebenheiten in Deutschland vertraut zu machen, habe die Klägerin an einem sechswöchigen “VZ-Seminar„ erfolgreich teilgenommen. Sie befinde sich seit 2007 im ALG II-Bezug. Aufgrund ihrer Vita und der Sprachschwierigkeiten sei es für sie schwierig, eine Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Mit dem Laden habe sie die Chance, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Die vollständige Loslösung aus dem Leistungsbezug sei spätestens im Juli 2013 zu erwarten. Mit Hilfe des Einstiegsgeldes könne sie zusätzliche Werbeaktionen starten, was zu einer schnelleren Lösung aus dem Leistungsbezug führen könne.

Mit Bescheid vom 06.03.2012 hob der Beklagte die laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt gegenüber der Klägerin zum 01.03.2012 vollständig auf, weil ihr wegen der begonnenen selbstständigen Tätigkeit Leistungen nur noch vorläufig bewilligt werden könnten. Mit Bescheiden vom gleichen Tag bewilligte der Beklagte vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 01.03.2012 bis 30.04.2012 bzw. vom 01.05.2012 bis 31.10.2012. Mit mehreren Schreiben vom 10.03.2012 erhob die Klägerin gegen die am 06.03.2012 erlassenen Bescheide Widerspruch. Zur Begründung wurde jeweils im Wesentlichen ausgeführt, es entspreche...

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