Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz. Wie-Beschäftigter. Sonderbeziehung: Vereinsmitglied. Gefälligkeit. Hilfeleistung. besonderes Fachwissen. besondere Gefährlichkeit der Tätigkeit. ehrenamtliche Aktivistin. Klettern. Aufhängen eines Banners
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Versicherungsschutz von "Wie-Beschäftigten" innerhalb einer Sonderbeziehung.
2. Eine Hilfeleistung ist im Rahmen einer Sonderbeziehung immer wesentlich durch die zu Grunde liegende persönliche Beziehung und mithin eigenwirtschaftlich geprägt.
3. Der zeitliche Umfang einer Hilfeleistung spielt nur eine untergeordnete Rolle.
4. Die Art, der Umfang und die zeitliche Dauer einer Hilfeleistung sind daher insgesamt untaugliche Kriterien für die Bestimmung des Versicherungsschutzes nach § 2 Abs 2 S 1 SGB 7.
5. Die "objektive besondere Gefährlichkeit" einer Tätigkeit ist bei der Wertung, ob Versicherungsschutz zu gewähren ist, ein wesentliches Zurechnungselement und mithin Versicherungsschutz begründend.
6. Für die Begründung des Versicherungsschutzes nach § 2 Abs 2 S 1 SGB 7 ist dann weiter zu unterscheiden, ob der Verunfallte über ein konkretes (subjektives) Sonderwissen und entsprechende Fähigkeiten verfügt, die dadurch die Gefährlichkeit neutralisieren. Eine objektiv gefährliche Tätigkeit stellt für einen Fachmann ein beherrschbares Risiko dar und minimiert die Gefährlichkeit, auch aus Sicht eines objektiven Betrachters.
7. Die bloße (objektive) besondere Gefährlichkeit einer Tätigkeit reicht daher nicht zur Begründung des Versicherungsschutzes innerhalb einer Sonderbeziehung aus.
Orientierungssatz
Az beim LSG: L 3 U 53/12
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Feststellung eines Arbeitsunfalles.
Die 1984 geborene Klägerin erlitt am 21. Februar 2008 einen Unfall, als sie bei einer Aktion für den Verein G. ein Banner am Hotel R. in H., an Seilen hängend, aufgehängt und gesichert hatte. Beim Abbau des Banners kam eine starke Windböe unter das Banner und riss dieses nach oben, so dass die Klägerin ebenfalls hoch gerissen wurde. Als die Windböe nachließ prallte sie gegen die Fassade des Hotels und zog sich eine offene Wunde am Unterarm, sowie mehrere Frakturen an den Beinen und Sprunggelenken zu.
Mit Schreiben vom 20. März 2008 meldete die zuständige Krankenkasse der Klägerin einen Erstattungsanspruch bei der Beklagten im Hinblick auf den Unfall vom 21. Februar 2008 an. Die Klägerin gab gegenüber der Beklagten an, sie engagierte sich bei G., indem sie bei Aktionen mitmache, um so die Bevölkerung über Umweltschutzprobleme aufmerksam zu machen. Mit dieser Form des Engagements könne sie am intensivsten die Ziele von sich und G. verfolgen. An der Aktion am 21. Februar 2008 habe sie teilgenommen, weil es ihr wichtig sei, auf politische Missstände hinzuweisen und sich für den Schutz der Umwelt einzusetzen. Zudem halte sie derartige Aktionen für ein sehr wirkungsvolles Mittel, um die Öffentlichkeit für Bedrohungen des Klimas zu sensibilisieren. Letztlich sei es gerade diese Form des Engagements, die zur originären Arbeit von G.-Aktivisten zählen würde. Sie versuche, wann immer sie Zeit habe, an G.-Aktionen teilzunehmen. Der Anlass zur Bereitschaft ergebe sich aus der Tatsache, dass sie nicht tatenlos bleiben möchte, sondern aktiv für den Schutz der Welt eintreten wolle. Am 21. Februar 2008 habe für sie die zusätzliche Motivation zur Teilnahme wegen des Schutzes der Niederelbe sowie der thematische Nähe zum geplanten Kohlekraftwerk bestanden, denn sie habe in der Nähe von H. gewohnt.
Seit Frühjahr 2006 sei sie für G. aktiv und seit Mitte 2007 sei sie ein Teil des Kletterteams. Seitdem habe sie an neun Kletteraktionen im In- und Ausland teilgenommen. Dabei sei es in drei Fällen ebenfalls um die Klimagefährdung durch den Bau von Kohlekraftwerken in Deutschland gegangen. Vor der Aktion am 21. Februar 2008 habe sie die Wettervorhersage eingeholt, die eine Windstärke von 5-6 für H. angab. Bei dieser Windstärke sei es noch gut möglich, ein Banner mit ausreichendem Gewicht unter Kontrolle zu halten, insbesondere, wenn sich das Banner in der Abdeckung einer Hauswand befinde. Bei der Aktion seien sämtliche Sicherheitsmaßnahmen für solches Klettern beachtet worden. Insoweit habe ein kalkuliertes Risiko vorgelegen. Es werden die Sicherheitsstandards bzw. Industriestandards des Fach- und Interessenverbandes seilunterstützter Arbeitstechniken (FISAT) beim Klettern verwandt. Für die Klettertechniken sei ein einwöchiges professionelles Training über die FISAT absolviert und von G. finanziert worden.
Auf Anfrage der Beklagten teilte G. mit, dass die Klägerin kein Mitglied im Sinne des Vereinsrechts sei, sondern eine “ehrenamtliche Aktivisten„. Es habe kein Auftrag für die Tätigkeit vorgelegen, sondern die Aktivisten haben aus freien Stücken und selbstständig teilgenommen. G. habe zurzeit (Stand Mitte 2008) ca. 3.500 ehrenamtlich Tätige. Diese wü...