Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Begriff der Aufsichtsangelegenheit iS von § 29 Abs 2 Nr 2 SGG. drittschützende Wirkung aufsichtsrechtlicher Vorschriften. Klagebefugnis des Arbeitnehmers gegen Schließung einer Krankenkasse. Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes
Leitsatz (amtlich)
1. Die Arbeitnehmer einer geschlossenen Krankenkasse sind im Streit um die Rechtmäßigkeit der Schließung nicht klagebefugt.
2. Die Vorschriften über die Wahlmöglichkeit der Aufsichtsbehörde zwischen der Schließung einer Krankenkasse und der Stellung eines Insolvenzantrags entfalten keine drittschützende Wirkung gegenüber den Arbeitnehmern der Krankenkasse.
3. Die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bemisst sich nicht anhand der Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften, die ihrerseits an den erlassenen Verwaltungsakt anknüpfen.
4. § 29 Abs 2 Nr 2 SGG gilt nur für Klagen einer Körperschaft, die der Aufsicht unterliegt oder unterliegen könnte (Anschluss an LSG Stuttgart vom 2.8.2011 - L 11 KR 2269/11 KL).
Orientierungssatz
Die Ausübung staatlicher Aufsicht erschöpft sich regelmäßig allein in der Wahrung der Gleichgewichtslage zwischen Staat und Selbstverwaltungskörperschaft (vgl BSG vom 28.04.1967 - 3 RK 26/63 = BSGE 26, 237 = SozR Nr 112 zu § 54 SGG).
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten.
Der Streitwert wird auf 9.425,76 € festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Schließung der City BKK.
Der am ... 1984 geborene Kläger stand jedenfalls bis zum 30.06.2011 in einem Arbeitsverhältnis zur City BKK. Derzeit steht er in einem befristeten Arbeitsverhältnis zur City BKK in Abwicklung.
Mit Bescheid vom 04.05.2011 schloss die Beklagte die City BKK, ordnete zugleich die Wirksamkeit der Schließung mit Ablauf des 30.06.2011 an (beides im Tenor zu 1 des Bescheides) und im Tenor zu 2 des Bescheides die sofortige Vollziehung.
Sie führte zur Begründung aus, die Leistungsfähigkeit der Kasse sei nicht mehr auf Dauer gesichert. Alternativen zur Schließung seien nicht ersichtlich. Eine Fusion mit einer anderen Krankenkasse scheide aus und auch die Bereitstellung weiterer Mittel verspreche keinen Erfolg. Es bestehe auch kein Anlass, anstelle der Schließung einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Kasse zu stellen. Von dieser Möglichkeit sei nach der gesetzlichen Konzeption nur in Ausnahmefällen Gebrauch zu machen. Im vorliegenden Fall lägen allerdings keine Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall vor. Der bloße Hinweis auf mögliche Vorteile einzelner Betroffener reiche nicht aus, denn hierbei handele es sich gerade um typische und nicht ausnahmsweise Folgen des einen oder des anderen Verfahrens. Jedenfalls sei nichts dafür erkennbar, wieso eine Schließung besonders weitreichende negative Folgen nach sich zöge, die durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vermieden werden könnten.
Die Wahl des Zeitpunktes, zu dem die Schließung wirksam werde, trage den Informationsbedürfnissen der Mitglieder Rechnung sowie dem Umstand, dass Verpflichtungen gegenüber den Beschäftigten der Kasse nach den §§ 164, 155 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) zu erfüllen seien.
Am 01.06.2011 hat der Kläger Klage vor dem (in der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides bezeichneten) Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben, das die Klage durch Beschluss vom 02.08.2011 (L 11 KR 2269/11 KL) an das erkennende Gericht verwiesen hat.
Der Kläger führt aus, als drittbetroffener Arbeitnehmer der City BKK müsse er sich gerichtlich gegen deren Schließung wehren können. Zumindest dem Wortlaut des Gesetzes nach ende mit der Schließung der City BKK auch das Arbeitsverhältnis. Eine solche Auslegung der einschlägigen Vorschriften verstoße gegen höherrangiges Recht. Die Arbeitsverhältnisse müssten durch Kündigung und unter Beachtung einer Sozialauswahl beendet werden. Weiterhin habe die Beklagte ihr Ermessen bei der Entscheidung gegen die Stellung eines Insolvenzantrags anstelle der Schließung nicht richtig ausgeübt.
Parallel habe er auch vor dem Arbeitsgericht Hamburg Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis über den 30.06.2011 hinaus bestehe.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 04.05.2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Klage mangels Klagebefugnis für unzulässig: Die Bestimmungen des Aufsichtsrechts, in deren Vollzug sie die Schließung angeordnet habe, hätten nach der Rechtsprechung des BSG keine drittschützende Wirkung. Für die Arbeitnehmer der City BKK wirke sich die Schließung lediglich als Reflex aus. Ihre etwaigen Ansprüche seien gegenüber der City BKK bzw. der entstehenden Abwicklungskörperschaft geltend zu machen und im Übrigen arbeitsrechtlicher Natur.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Prozessakte verwiesen, deren wesentlicher ...