Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit als Voraussetzung der rückwirkenden Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes
Orientierungssatz
1. Die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes setzt nach § 45 Abs. 2 SGB 10 u. a. voraus, dass der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des ergangenen Verwaltungsaktes infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Dabei ist von einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab auszugehen.
2. Grobe Fahrlässigkeit ist dem Begünstigten im Rahmen des § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB 10 erst dann vorzuwerfen, wenn ihm der Fehler bei seinen Erkenntnismöglichkeiten geradezu in die Augen springen musste.
3. War der Fehler eher versteckt, so ist grobe Fahrlässigkeit zu verneinen, mit der Folge, dass eine rückwirkende Aufhebung des ergangenen Verwaltungsaktes ausgeschlossen ist.
Tenor
1. Der Bescheid vom 27.02.205 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.06.2015 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich dagegen, dass für die Zeit vom 01.09.2005 bis zum 28.02.2015 eine überzahlte Altersrente in Höhe von € 21.684,85 aufgehoben und von ihm erstattet verlangt wird.
Der Kläger war seit dem 19.07.1974 verheiratet mit Frau P.. Die Ehe wurde geschieden und mit Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 09.11.1984 wurden von dem Versicherungskonto des Ehemannes bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin auf das Versicherungskonto der Ehefrau bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 123,60 DM bezogen auf den 31.03.1984 übertragen.
Die Beklagte registrierte den Versorgungsausgleich mit Datum vom 30.01.1985 bei dem Kläger offenbar versehentlich als Begünstigtem anstatt als Belastetem.
Der mit Datum vom ...1941 geborene Kläger stellte mit Datum vom 02.05.2005 einen Antrag auf Altersrente mit Beginn am 01.09.2005. In dem Antrag gab er an, dass ein Versorgungsausgleich wegen Ehescheidung durchgeführt wurde. Der Kläger hat seit dem 21.10.1999 einen GdB von 70.
Mit Bescheid vom 22.06.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine laufende Altersrente für schwerbehinderte Menschen beginnend am 01.09.2005. Die Anlage 5 des Bescheides ist überschrieben mit „Auswirkungen des Versorgungsausgleichs“. Dort heißt es:
„Der zugunsten oder zu Lasten des Versicherungskontos durchgeführte Versorgungsausgleich ergibt einen Zuschlag oder Abschlag an Entgeltpunkten. Hierfür werden die für Rentenanwartschaften ermittelten Werteinheiten in Entgeltpunkte umgerechnet.
Für die Zeit ab 01.09.2005:
Für die Ehezeit vom 01.07.1974 bis 31.03.1984 sind Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung übertragen worden.
Die übertragene Rentenanwartschaft ist festgestellt auf monatlich 123,60 DM.
Daraus ergeben sich = 3,8860 Punkte“
Danach finden sich Ausführungen über „Monate für Wartezeiten“
Die Anlage 6 des Bescheides ist überschrieben mit „Persönliche Entgeltpunkte“
Dort werden insgesamt als Entgeltpunkte 65,2480 angegeben, dann findet sich noch die Zeile:
„Zuschlag aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich für die Ehezeit vom 01.07.1974 bis 31.03.1984 + 3,8860 Punkte
Summe aller Entgeltpunkte = 69,1340“
Mit Schreiben vom 20.01.2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Daten über den gesetzlichen Versorgungsausgleich für die Ehezeit vom 01.07.1974 bis 31.03.1984 berichtigt worden seien und ein Abschlag an Entgeltpunkten für diese Zeit zu berücksichtigen sei und führte in der Anlage die Berechnung der Überzahlung in Höhe von insgesamt € 21.684,85 auf.
Mit Bescheid vom 27.01.2015 setzte die Beklagte die Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 01.03.2015 neu fest und hörten gleichzeitig zu einer Aufhebung des Bescheides vom 22.06.2005 mit Wirkung ab 01.09.2005 nach § 45 SGB X an.
Mit Bescheid vom 27.02.2015 machte die Beklagte eine Überzahlung der Rente für die Zeit vom 01.09.2005 bis 28.02.2015 in Höhe von € 21.684,85 geltend und hob den Bescheid vom 22.06.2005 nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X insoweit für die Vergangenheit auf. Auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides könne der Kläger sich nicht berufen, weil er die Fehlerhaftigkeit des Rentenbescheides hätte erkennen können. Ihm sei bekannt gewesen, dass im Urteil des Familiengerichts eine Belastung zu seiner Versicherungsnummer festgestellt wurden sei und diese auf das Konto seiner geschiedenen Ehefrau übertragen werden sollte. Auch im Wege des Ermessens sei die Bescheidrücknahme gerechtfertigt, weil keine Gründe ersichtlich seien, die von einer Bescheidrücknahme zu seinen Gunsten Abstand nehmen ließen.
Mit Datum vom 13.03.2015 legte der Kläger Widerspruch gegen die Bescheide vom 27.01.2015 und 27.02.2015 ein und stellte hilfsweise einen Antrag auf Überprüfung. Die Beklagte habe selbst die Daten für den Versorgungsausgleich erst nach über 30 Jahren erkannt und berichtigt. Er habe nach Treu und Glauben gehandelt und im Vertrauen auf die Richtigkeit der Bescheide. Er habe das Geld verb...