Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes. Nachrangregelung des § 103 Abs 4c S 3 SGB 5. Angestellten-MVZ
Leitsatz (amtlich)
1. Die Nachrangregelung des § 103 Abs 4c S 3 SGB V ist von herausgehobener Bedeutung und geht den Auswahlkriterien nach § 103 Abs 4 S 5 und Abs 5 S 3 SGB V vor.
2. Die Nachrangregelung des § 103 Abs 4c S 3 SGB V ist auch auf ein MVZ anzuwenden, bei dem die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte von dort angestellten Ärzten gehalten wird, die zugunsten des MVZ auf ihre Zulassungen als Vertragsärzte verzichtet haben.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
4. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Nachbesetzung einer Arztstelle für Humangenetik im Umfang eines hälftigen Versorgungsauftrags bei der Beigeladenen zu 2.
Am 08.09.2017 beantragte die Beigeladene zu 2 beim Zulassungsausschuss für Ärzte H. (ZA), eine 1/2 Arztstelle ihres medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) in eine Zulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag umzuwandeln und ein Nachbesetzungsverfahren durchzuführen. Dem entsprach der ZA am 18.10.2017. Auf die Ausschreibung bewarben sich die Beigeladenen zu 1, zu 3, zu 4 und zu 9, die alle bereits an der vertragsärztlichen Versorgung teilnahmen. Die Beigeladene zu 1 beantragte außerdem eine Anstellungsgenehmigung für die Humangenetikerin Dr. C., die die Tätigkeit im MVZ der Beigeladenen zu 2 (...) im Umfang von 20 Wochenstunden übernehmen sollte. Mit Beschluss vom 07.03.2018 wählte der ZA die Beigeladene zu 1 aus, ließ sie für den (weiteren) 1/2 Versorgungsauftrag zu und genehmigte zugleich die Anstellung von Dr. C. im Umfang von 20 Wochenstunden und ordnete die sofortige Vollziehung an. Die Anträge der Beigeladenen zu 3, zu 4 und zu 9 lehnte er zugleich ab. Ausschlaggebender Grund für die Auswahl war bei ansonsten gleicher Erfüllung der Voraussetzungen der Umstand, dass Dr. C. am längsten in der Warteliste eingetragen war. Dr. C. nahm die Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1 auf.
Von den übrigen Bewerbern erhob nur der Beigeladene zu 9 Widerspruch. Auf seinen am 28.06.2018 erhobenen Widerspruch mit dem Begehren, ihn selbst zuzulassen, hob der Beklagte den Beschluss des ZA hinsichtlich der Auswahl der Beigeladenen zu 1 und der Ablehnung der Zulassung des Beigeladenen zu 9 mit Beschluss vom 12.09.2018 auf. Zugleich ließ er den Beigeladenen zu 9 mit einem (weiteren) hälftigen Versorgungsauftrag zu und lehnte den Antrag der Beigeladenen zu 1 ab. Die Beigeladene zu 1 sei als MVZ, das nicht von Vertragsärzten, sondern von angestellten Ärzten geführt werde, nach § 103 Abs. 4c S. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nachrangig zu berücksichtigen, auch wenn die übrigen Auswahlkriterien für ihre Auswahl gesprochen hätten. Die Nachrangregelung sei hier anzuwenden. Die Ärzte Dres. T. und C.F. seien zwar im MVZ tätig und verfügten auch über die Mehrheit der Stimmrechte. Sie seien aber nach dem Verzicht auf ihre Vertragsarztsitze zugunsten des MVZ, in dem sie als angestellte Ärzte beschäftigt sind, keine Vertragsärzte mehr. Der Gesetzgeber unterscheide in § 95 Abs. 1 S. 2 SGB V nach Ärzten und Angestellten. Dass ihm diese Unterscheidung bei Schaffung der Nachrangregelung nicht bewusst gewesen sein sollte und er sie auch später versehentlich nicht korrigiert haben sollte, könne ausgeschlossen werden. Die Nachrangregelung sei auch nicht ein Auswahlkriterium unter mehreren, sondern führe dazu, dass von Angestellten geführte MVZ nur ausgewählt werden könnten, wenn sich weder ein nicht nachrangiges (Freiberufler-)MVZ noch ein Arzt bewerbe.
Gegen den Beschluss des Beklagten hat die Klägerin am 15.11.2018 Klage erhoben. Sie sei aufgrund ihres Sicherstellungsauftrages und ihrer Gesamtverantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung klagebefugt. Zur Begründung führt sie aus, der Beklagte habe sein Auswahlermessen verletzt. Die Regelung des § 103 Abs. 4c S. 3 SGB V sei auf solche MVZ wie die der Beigeladenen zu 1 nicht anzuwenden. Hier hätten Vertragsärzte zur Gründung eines MVZ in der Rechtsform der GmbH auf ihre Zulassung verzichtet. Mit der Schaffung der Nachrangregelung habe der Gesetzgeber verhindern wollen, dass Vertragsärzte im Nachbesetzungsverfahren durch MVZ verdrängt werden, deren Geschäftsanteile und Stimmrechte nicht mehrheitlich in der Hand von Vertragsärzten liegen, die in dem MVZ nicht arbeiten. Dadurch solle der Ausbreitung von Kapitalgesellschaften als Träger von MVZ und damit der Gefahr der Vernachlässigung von medizinischen Belangen gegenüber wirtschaftlichen Belangen entgegengewirkt werden. Um solche Art von Trägerschaft handele es sich hier ersichtlich nicht. Die betroffenen Ärzte seien nur formal Angestellte und nicht Vertragsärzte und handelten wie freiberuflich tätige Ärzte. Die Verwendung des Begriffs Ve...