Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahnarzt. kollektiver Zulassungsverzicht. Vergütung für Behandlung von GKV-Versicherten. Vorliegen eines Notfalls
Orientierungssatz
Die Vorschrift des § 95b Abs 3 SGB 5 regelt unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nur dann den Schuldübergang zu Lasten der Krankenkasse, wenn ein Notfall iS des § 76 Abs 1 S 2 SGB 5 vorliegt.
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Vergütung zahnärztlicher Leistungen in der Zeit vom 01. Juli 2004 bis zum 31. Dezember 2004. Darüber hinaus macht die Klägerin gegenüber der Beklagten geltend, dass jene für die Behandlung ihrer Versicherten durch die Klägerin nach dem 30. Juni 2004 zu einer Vergütung i. H. d. 1,0fachen GOZ-Satzes verpflichtet sei.
Die Klägerin ist weitergebildete Fachzahnärztin für Kieferorthopädie. Mit Schreiben vom 31. März 2004 an die Kassenzahnärztliche Vereinigung Niedersachsen erklärte sie: "Hiermit gebe ich meine Ermächtigung zum 30. Juni 2004 zurück." Mit Schreiben des Zulassungsausschusses Niedersachsen für die Zulassung zur vertragszahnärztlichen Tätigkeit vom 06. April 2004 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass ihr Verzicht auf die Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Versorgung am 31. März 2004 bei der Geschäftsstelle des Zulassungswesens eingegangen sei und zum 30. Juni 2004 wirksam werde. Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit stellte mit Bescheid vom 03. Juni 2004 gem. § 72 a Abs. 1 SGB V fest, dass in den drei niedersächsischen Planungsbereichen Landkreis H, Landkreis C und Landkreis H insgesamt 23 und jeweils mehr als 50% aller dort niedergelassenen Vertragszahnärzte, die kieferorthopädische Leistungen erbringen, in einem mit anderen Zahnärzten aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf ihre Zulassung zum 30. Juni 2004 nach § 95 b Abs. 1 SGB V verzichtet haben und dadurch die vertragszahnärztliche kieferorthopädische Versorgung ab dem 01. Juli 2004 nicht mehr sichergestellt ist. Die sofortige Vollziehung dieser Entscheidung wurde angeordnet. Insgesamt haben 41 niedersächsische Kieferorthopäden oder kieferorthopädisch tätige Zahnärzte (sog. KFO-Erklärer) mit Wirkung zum 30. Juni 2004 auf ihre Zulassung verzichtet. Der Zulassungsausschuss der Zahnärzte hat in seiner Sitzung vom 28. April 2004 die Beendigung der Zulassung zum 30. Juni 2004 festgestellt für die o. g. 41 niedersächsischen Kieferorthopäden bzw. kieferorthopädisch tätigen Zahnärzte, wozu auch die in der Gemeinde B tätige Klägerin gehörte. Für drei weitere Zahnärzte wurde das Ende der Ermächtigung bereits zum 30. bzw. 31. März 2004 vom Zulassungsausschuss festgestellt. Im Landkreis C haben drei von fünf Vertragszahnärzten und damit ca. 60% auf ihre Zulassung verzichtet. Im Landkreis H haben 12 von 21 kieferorthopädisch tätige Zahnärzte und damit 57% auf ihre Zulassung verzichtet. Im Landkreis H haben acht von 11 kieferorthopädisch tätige Vertragszahnärzte auf ihre Zulassung verzichtet und damit 73%. Eine am Sinn und Zweck der Regelung des § 72 a SGB V orientierte Auslegung ergäbe, dass für die Feststellung des Überschreitens der 50%-Grenze nicht auf die Gesamtzahl aller Vertragszahnärzte, sondern allein auf die Kieferorthopäden als Facharztgruppe einschl. der Zahnärzte, die erklärt haben, ausschließlich kieferorthopädische Leistungen zu erbringen, abzustellen sei. Einzubeziehen seien ermächtigte Zahnärzte. Bei der Abwägung sei auf Zulassungsbezirke bzw. regionale Planungsbereiche abzustellen, denn für die ärztliche Versorgung in einem bestimmten Planungsbereich komme es entscheidend auf die Anzahl der Zahnärzte der jeweiligen Fachgruppe in dem Planungsbezirk an. Die angekündigte Absicht des Berufsverbandes der Deutschen Kieferorthopäden, Landesverband Niedersachsen, GKV-Versicherte künftig im Wege der Direktabrechnung zu den bisherigen Konditionen weiter zu behandeln, vermeide keine Versorgungslücke. Der Sicherstellungsauftrag der Kassenzahnärztlichen Vereinigung sei nur innerhalb des Vertragsarztsystems des SGB V definiert. Tatsächlich sei der durchschnittliche Versorgungsgrad in den drei Planungsbereichen Landkreis H, C und H erheblich schlechter als im Landesdurchschnitt.
Im Landkreis und Planungsbezirk R/W, in dem die Gemeinde B liegt, bestand am 28. April 2005 bei Fachzahnärzten für Kieferorthopädie ein Grad der Unterversorgung in Höhe von 70,8 %. Statt dem erstrebten Planungssoll von 10,3 Fachzahnärzten für Kieferorthopädie waren im Planungsbezirk R/W nur drei Fachzahnärzte und KFO-Erklärer tätig. Im Umkreis bis 55 km von B waren insgesamt 15 Fachzahnärzte oder KFO-Erklärer zur Erbringung von KFO-Leistungen bereit.
Aus den Gesamtumständen wurde geschlossen, dass die Kieferorthopäden in einem aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf ihre Zulassung verzichtet haben. Dafür spräche, dass in den Vorjahren max. zwei Kieferorthopäden bzw. KFO-Erklärer pro Jahr auf die Zulassung verzichtet hatten, wohinge...