Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneimittelregress. Verordnungsfähigkeit von Therapieallergenen im Quartal IV/2020
Orientierungssatz
1. Zum Streit über die Festsetzung eines Regresses wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise in Bezug auf Arzneimittel - hier: fehlende Verordnungsfähigkeit von Therapieallergenen (Präparat „Pollinex Quattro Gräser/Roggen“) im Quartal IV/2020.
2. Az beim LSG Celle-Bremen: L 3 KA 53/23.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen. Diese haben ihre Kosten selbst zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Verordnungsfähigkeit von Therapieallergenen im Quartal IV/2020.
Die Klägerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft mit Sitz in J. bestehend aus den Fachärzten für Innere Medizin, Pneumologie K.. Sie verordnete für zwei volljährige Versicherte der beigeladenen Krankenkassen jeweils Pollinex Quattro Gräser/Roggen (Verordnungen vom 18. und 26. November 2020).
Die Krankenkasse beantragte am 31. Januar 2022 bei der Beklagten wegen dieser Verordnungen die Festsetzung „eines sonstigen Schadens“ in Höhe der durch die Verordnung entstandenen Verordnungskosten (hier: 1.494,30 EUR) und begründet dies mit der fehlenden Zulassung. Die im Jahr 2008 in Kraft getretene Therapieallergene-Verordnung (TAV) begründe zwar während des laufenden Zulassungsverfahrens die Verkehrsfähigkeit. Jedoch seien bei über 50 zulassungspflichtigen Produkten die Zulassungsverfahren nach über 10 Jahren noch nicht abgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des BSG sei eine Zulassung Voraussetzung für die Verordnung zulasten der GKV.
Die Beklagte leitete diesen Antrag mit Schreiben vom 3. Februar 2022 an die Klägerin mit der Bitte um eine fallbezogene Stellungnahme weiter. Die Klägerin hat eine Stellungnahme abgegeben. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung habe anlässlich der gestellten Prüfanträge mitgeteilt, dass auf Seiten der Bundesvertragspartner die grundsätzliche Verordnungsfähigkeit der nicht zugelassenen Therapieallergene nicht in Frage gestellt werde. Bisherige Informationsschreiben könnten nur so verstanden werden, dass die noch nicht zugelassenen Präparate weiterhin eingesetzt werden könnten. Vertrauensschutzgesichtspunkte müssten hier Berücksichtigung finden. Aus der Rechtsprechung des BSG ergebe sich, dass bei Rezepturarzneimitteln von der Verkehrsfähigkeit auch auf die Verordnungsfähigkeit geschlossen werden könne. Die mit der TAV geschaffenen langen Übergangsfristen zeigten, dass diese Präparate den Patienten weiterhin zur Verfügung stehen sollten. Hinsichtlich der Produktsicherheit und Qualität sehe die TAV eine Chargenprüfung vor. Eine Hyposensibilisierungsbehandlung dauere durchschnittlich drei bis fünf Jahre. Der Therapieerfolg hänge maßgeblich von der Compliance der Patienten ab. Sensibilisierungsspektrum und Sensibilisierungsgrad seien von Fall zu Fall verschieden. Die für die Behandler maßgebliche S2k-Leitlinie AIT2022 gehe ebenfalls davon aus, dass die im Zulassungsverfahren befindlichen Therapieallergene hinsichtlich ihrer Verschreibungs- und Verkehrsfähigkeit den zugelassenen Präparaten gleichstünden. Die Klägerin rügt, dass die Krankenkasse keine Angaben zu der aus Kassensicht wirtschaftlichen Alternativbehandlung gemacht hat. Schon wegen der insoweit fehlenden Angaben müsse der Antrag zurückgewiesen werden. Jedenfalls wären für eine Therapie mit einem vergleichbaren zugelassenen Präparat (hier: Grazax) deutlich höhere Kosten entstanden.
Die Krankenkasse teilte gegenüber der Beklagten mit, dass sie den Einsatz von nicht ausreichend geprüften Medikamenten über einen Zeitraum von über zehn Jahren für bedenklich halte und eine Verordnungsfähigkeit zulasten der GKV ablehne. Sie erkläre sich jedoch gegenüber der Beklagten damit „einverstanden, wenn Sie im Rahmen Ihrer Entscheidungsfindung § 106 Abs. 3 Satz 6 SGB V nutzen und anstatt einer Rückzahlungsverpflichtung eine vorrangige Beratung aussprechen.“
Die Beklagte setzte gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 29. November 2022 einen Regress in beantragter Höhe fest. Das beanstandete Präparat verfüge bisher über keine arzneimittelrechtliche Zulassung. Die von der Rechtsprechung geforderte Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit habe bisher nicht stattgefunden. Für beide Präparate laufe derzeit ein Zulassungsverfahren. Diese Verfahren könnten mit der Erteilung oder der Versagung der Zulassung enden. Auch sei nicht sicher, dass die vorgeschriebene Chargenfreigabe stets erteilt werde und das Produkt tatsächlich regelmäßig verfügbar sei. Es bestehe daher immer das Risiko, dass eine Therapie nicht kontinuierlich fortgeführt werden könne. Aus der Verkehrsfähigkeit nach der TAV könne nicht auf eine Verordnungsfähigkeit geschlossen werden. Schließlich handele es sich auch nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Nachforderung sei bei den hier bet...