Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneimittelregress. keine Verordnung "für die stationäre Behandlung" iS von § 41 Abs 8 BMV-Ä bei Unwissenheit über Krankenhausaufenthalt. keine Nachfragepflicht des Arztes
Orientierungssatz
1. Es ist nicht davon auszugehen, dass eine von Ärzten getätigte Verordnung "für die stationäre Behandlung" iS von § 41 Abs 8 BMV-Ä vorgenommen wurde, wenn die Ärzte glaubhaft vorgetragen haben, vom Krankenhausaufenthalt nichts gewusst zu haben.
2. Allein aus dem in § 41 Abs 8 BMV-Ä enthaltenen Verbot, keine Verordnungen "für die stationäre Behandlung" vorzunehmen, kann keine Wertung für die Verschuldensfrage im Sinne einer Erkundigungspflicht im Hinblick auf mögliche Krankenhausaufenthalte gefolgert werden.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 17. März 2011 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Tatbestand
Die klagende Gemeinschaftspraxis wendet sich gegen einen Arzneimittelregress in Höhe von 804,46 Euro wegen einer Arzneimittelverordnung, die während eines stationären Aufenthaltes des Patienten erfolgte.
Die Beigeladene zu 2) beantragte am 8. September 2009 die Prüfung der ärztlichen Verordnungsweise gemäß § 32 der Vereinbarung zur Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V. Zur Begründung führte Sie an, dass man im Rahmen einer Rezeptprüfung festgestellt habe, dass Verordnungen während eines stationären Aufenthaltes ausgestellt worden seien. Dabei handelte es sich um die am 20. Oktober 2008 vorgenommene Verordnung des Präparates "Reyataz 300mg Hartkapsel N1" und des Präparates "Diazepam-ratiopharm 10mg N3" für den bei der Beigeladenen zu 2) versicherten Patienten W. H. Der Zeitraum des Krankenhausaufenthaltes wurde von der Beigeladenen zu 2) mit 6. Oktober 2008 bis 31. Oktober 2008 angegeben. In ihrer Stellungnahme zum Prüfantrag gaben die der klagenden Gemeinschaftspraxis angehörende Ärzte an, dass sich der Patient seit über zehn Jahren aufgrund seiner HIV Infektion in ihrer Praxis in Behandlung befinde. Zudem liege eine Depression vor und es sei im Jahr 2010 ein neuroendokrines Analkarzinom festgestellt worden. Für den Patienten sei es von lebenswichtiger Bedeutung, dass er seine HIV Medikation bestehend aus Truvada, Reyataz und Norvir regelmäßig und ohne Unterbrechungen einnehme. Das Rezept sei zur Sicherstellung der kontinuierlich einzunehmenden antiretroviralen Therapie ausgestellt worden. Es sei keine Mehrverordnung erfolgt. Erst nach der Ausstellung des Rezeptes seien sie über den Krankenhausaufenthalt informiert worden. Das Rezept sei von ihnen nicht für den Krankenhausaufenthalt ausgestellt worden. Ein wirtschaftlicher Schaden sei nicht verursacht worden. Die Beigeladene zu 2) vertrat demgegenüber die Auffassung, dass sämtliche Arzneikosten über den Pflegesatz des Krankenhauses abgegolten gewesen seien und nicht zusätzliche Kosten entstehen dürften. Außerdem sei keine ärztliche Kontrolle mehr gewährleistet, wenn zusätzlich zu den verantwortlichen Krankenhausärzten weitere Ärzte außerhalb der stationären Einrichtung Arzneimittel rezeptierten.
Mit Bescheid vom 17. März 2011 setzte die Beklagte einen Regress in Höhe von 804,46 € gegen die Klägerin fest. Sie begründete ihre Entscheidung mit der Regelung in § 48 Abs. 1 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä), die vorsehe, dass der einer Krankenkasse durch die unzulässige Verordnung von Leistungen verursachte Schaden durch die Prüfungseinrichtung festzustellen sei. Ein solcher Schaden sei hier entstanden und schuldhaft verursacht worden, da gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 8 BMV-Ä Krankenhausleistungen von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen seien. Krankenhausleistungen umfassten gemäß § 39 Absatz 1 Satz 3 SGB V auch die Versorgung mit Arzneimitteln. Daher sei die von den Ärzten ausgestellte Arzneimittelverordnung nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen. Außerdem dürften gemäß § 15 Abs. 2 BMV-Ä Verordnungen vom Vertragsarzt nur ausgestellt werden, wenn er sich persönlich von dem Krankheitszustand des Patienten erzeugt habe oder wenn ihm der Zustand aus der laufenden Behandlung bekannt sei. Hiervon dürfe nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden. Die Verordnung sei aber dem Patienten nicht persönlich ausgestellt worden, so dass sich die Ärzte nicht darauf berufen könnten, der stationäre Aufenthalt sei Ihnen nicht bekannt gewesen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 4. April 2011 erhobenen Klage. Die der Klägerin angehörenden Ärzte bestreiten, durch ihre Verordnung schuldhaft einen wirtschaftlichen Schaden verursacht zu haben. Als Vertragsärzte mit spezialisierter Versorgung von HIV Patienten hätten sie dem schwer kranken Patienten ein Folgerezept ausgestellt, um die lebensnotwendige antiretrovirale Therapie der HIV-Infektion zu gewährleisten. Es sei ihnen nicht bekannt gewesen, dass der Patient im Krankenhaus behandelt werde. Für eine Folgeverordnung einer bereits langjährig la...