Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung. unversorgtes Ausscheiden eines Mitglieds einer Glaubensgemeinschaft. Einrede der Verjährung. unzulässige Rechtsausübung wegen Rechtsmissbrauchs

 

Orientierungssatz

1. Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein unversorgtes Ausscheiden iS des § 8 Abs 2 S 1 SGB 6 vorliegt, ist allein die tatsächliche Beendigung der nicht versicherungspflichtigen oder versicherungsfreien Tätigkeit. Ob eine lebenslange Versorgung gewährt wird, beurteilt sich nach dem Zeitpunkt des Ausscheidens, nicht nach später gemachten (Rückkehr-)Angeboten (vgl LSG Stuttgart vom 21.6.2016 - L 11 R 2289/15).

2. Der Arbeitgeber als Nachversicherungsschuldner, dessen objektiv pflichtwidriges Unterlassen ursächlich dafür ist, dass der Rentenversicherungsträger als Nachversicherungsgläubiger keine Kenntnis von seinem Anspruch hat, handelt grundsätzlich rechtsmissbräuchlich, wenn er sich dennoch auf Verjährung beruft (vgl BSG vom 27.6.2012 - B 5 R 88/11 R = BSGE 111, 107 = SozR 4-2600 § 233 Nr 2).

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 93.877,07 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Forderung von Nachversicherungsbeiträgen für den Zeitraum vom 01.09.1967 bis 31.03.1975 und vom 01.07.1976 bis 30.11.2006 für den bei der Beklagten Versicherten Beigeladenen.

Die Klägerin ist eine evangelische Freikirche pfingstlicher Prägung. Ihr Hauptziel ist nach eigenen Angaben die Mitarbeit am Aufbau der weltweiten Gemeinde Jesu Christi auf Erden. Sie ist als eingetragener Verein (e. V.) mit Sitz in S.... organisiert (Vereinsregister S.... X.). Die Verwaltung des Vereins befindet sich im Beilstein. Der Verein unterhält mehrere sogenannte Glaubenshäuser, die unter anderem der Förderung der christlichen Religion dienen, aber auch Erholungsgelegenheit bieten. Mit dem Glaubenshaus verbunden ist eine Missionsschule, die nach den früheren Satzungen des Vereins (z.B. Satzung in der Fassung vom 03.07.1970) den Orden der geistlichen Genossenschaft „X.“ darstellte. Nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 der Satzung in der Fassung vom 28.05.2012 bilden Personen, die ihrer christlichen Überzeugung und inneren Berufung folgen und in einem Glaubenshaus leben, eine auf Dauer angelegte ordensähnliche Glaubens- und Lebensgemeinschaft. Der Beigeladene war zu keinem Zeitpunkt Mitglied des e. V.

Der am X. geborene Beigeladene wurde am 01.09.1967 in das Glaubenshaus B.... im Sch.... aufgenommen und absolvierte dann vom 03.09.1967 bis 31.07.1970 eine Ausbildung als Landwirtschaftsgehilfe im Landwirtschaftsbetrieb seines Vaters (Abschlussprüfung am 18.04.1972). Vom 01.04.1975 bis 30.06.1976 absolvierte der Beigeladene seinen Wehrdienst. In der Zeit vom 01.09.1967 bis 30.11.2006 war er mit Ausnahme der Zeit vom 01.10.1970 bis 04.03.1971, wo er in einem X. Missionshaus für die Klägerin tätig war, in Missionshäusern der Klägerin in Deutschland tätig. In der Zeit vom 01.12.2006 war er bis zu seinem Ausscheiden aus der Glaubensgemeinschaft am 13.03.2013 für die Klägerin in der X. tätig.

Der Beigeladene beantragte bei der Beklagten am 26.02.2014 eine Kontenklärung. Dabei gab er an, er habe vom 01.09.1967 bis 13.03.2013 für die Klägerin als Landwirt und Heimleiter gearbeitet. Sein Prozessbevollmächtigter machte mit Schreiben vom 20.03.2014 eine Nachversicherung nach § 8 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI geltend, da die Klägerin für den gesamten Zeitraum vom 01.09.1967 bis 13.03.2013 keine Versicherungsbeiträge entrichtet habe.

Mit Bescheid vom 05.11.2014 forderte die Beklagte die Klägerin nach entsprechender Anhörung auf, Nachversicherungsbeiträge für den Beigeladenen für die Zeit vom 01.09.1967 bis 31.03.1975 und vom 01.07.1976 bis 30.11.2006 in Höhe von 88.524,40 Euro gemäß § 233 Abs. 2 SGB VI i.V.m. § 8 Abs. 2 SGB VI zu zahlen. Für die Zeit vom 01.04.1975 bis 30.06.1976 forderte die Beklagte wegen der Ableistung des Wehrdienstes durch den Beigeladenen keine Beiträge.

Dagegen legte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 10.12.2014 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie vortrug, die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 SGB VI lägen im Fall des Beigeladenen nicht vor. Es habe zu keinem Zeitpunkt ein Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Beigeladenen und der Klägerin bestanden. Der Beigeladene habe in der Zeit vom 01.09.1967 bis 30.11.2006 in verschiedenen Missionshäusern der Klägerin gelebt und dort selbstverständlich und freiwillig den Haushalt der Glaubensgemeinschaft in Ordnung gehalten. Der Beigeladene habe für seine Tätigkeiten in der Glaubensgemeinschaft keinerlei Entgelt erhalten und dies auch nicht erwartet. Im Übrigen seien selbst bei Annahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 SGB VI nicht erfüllt. Vor dem 01.01.1992 habe keine Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI bestanden. Bis zum 31.12.1991 sei eine Versicherungsfreiheit ...

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