Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Höhe des Zuschusses zum Versicherungsbeitrag zur privaten Krankenversicherung. Begrenzung auf die laufenden Zahlungen für den hälftigen Basistarif. Beitragsrückstand wegen Beitragszuschlag für Nichtversicherte. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf
Leitsatz (amtlich)
Beitragsrückstände in der privaten Krankenversicherung aufgrund von Zuschlägen für Nichtversicherte nach § 193 VVG (juris: VVG 2008) sind grundsätzlich vom Grundsicherungsträger im Rahmen der Leistungsgewährung nach § 26 SGB 2 zu übernehmen.
Orientierungssatz
1. Ein privat krankenversicherter Bezieher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB 2 kann nach § 26 Abs 2 S 1 SGB 2 aF bzw § 26 Abs 1 S 1 SGB 2 nF die Übernahme seiner unterhalb des hälftigen Höchstbetrags zur gesetzlichen Krankenversicherung liegenden Beiträge zur privaten Krankenversicherung im Wege einer analogen Anwendung der für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Personen geltenden Regelung von dem Grundsicherungsträger beanspruchen (vgl BSG vom 18.1.2011 - B 4 AS 108/10 R = BSGE 107, 217).
2. Dem Verweis in § 26 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB 2 aF bzw § 26 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 2 nF auf § 12 Abs 1c S 5 und 6 VAG kommt nicht nur eine formale, sondern eine materiell-rechtlich begrenzende Wirkung zu. Aus § 26 Abs 2 S 1 SGB 2 aF bzw § 26 Abs 1 S 1 SGB 2 nF ergibt sich daher kein Anspruch auf Zahlungen, die über die laufenden Zahlungen für den hälftigen Basistarif hinausgehen.
3. Für die Übernahme von Zahlungen, die über die laufenden Zahlungen für den hälftigen Basistarif hinausgehen (hier: Beitragsrückstände aufgrund von Beitragszuschlägen für Nichtversicherte), kommt § 21 Abs 6 SGB 2 als Anspruchsgrundlage in Betracht.
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, die Beitragsrückstände der Antragstellerin in der privaten Krankenversicherung bei der E. zur Versicherungsscheinnummer O. wegen Beitragszuschlägen für Nichtversicherte nebst angefallener Kosten und Zinsen, jedoch höchstens in Höhe von insgesamt 1.131,35 € vorläufig, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens S 37 AS 1052/11 vor dem Sozialgericht Hildesheim, zu übernehmen.
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner im Wege der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes die Übernahme von Beitragsrückständen bei ihrer privaten Krankenversicherung aus Mitteln des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die 1947 geborene Antragstellerin war früher bei der Vereinte Krankenversicherung, die im Jahre 2003 von der F. (im Folgenden: G.) übernommen worden ist, privat krankenversichert. Nachdem sie im Jahre 2009 in Vermögensverfall geraten war, konnte sie die Beiträge dafür nicht mehr zahlen. Nach diversem Schriftwechsel und Führung eines Zivilrechtsstreits gegen die G. schloss sie mit Wirkung zum 01.01.2011 am 16.02.2011 bei dieser den Vertrag zur Versicherungsscheinnummer O. ab. Hierbei handelt es sich um einen Basistarif; der die gesetzlichen Verpflichtungen zur Krankenversicherung aus § 193 Abs. 3 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) abdeckt. Die G. versuchte am 01.03.2011 die Beiträge für die vorgenannte Versicherung in Höhe eines Betrages von 2.650,13 € vom Konto der Antragstellerin einzuziehen, was jedoch mangels Deckungsfähigkeit des Kontos misslang. In Schreiben der G. an den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 15.03.2011 und 05.04.2011 wurde die Forderung wie folgt aufgeschlüsselt: Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge für Januar bis März 2011 je Monat 323,92 € = 971,76 € zuzüglich Beitragszuschlag für Nichtversicherte in Höhe von 1.678,37 € für den Zeitraum Anfang September 2009 bis Ende Dezember 2010 (kein Zuschlag für September 2009, für Oktober 2009 bis Januar 2010 287,72 € X 4 = 1.150,88 €, für die restlichen 11 Monate bis zum Vertragsbeginn am 01.01.2011 jeweils 1/6 des Monatsbeitrages = 47,95 € X 11 = 547,49 €), mithin insgesamt 2.650,13 €.
Bereits seit Ende März 2009 steht die Antragstellerin bei dem Antragsgegner im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II, wobei nach Erlass eines Änderungsbescheides des Antragsgegners vom 08.03.2011 u.a. 287,72 € für die Kosten der privaten Krankenversicherung gewährt werden. Mit Schreiben vom 22.03.2011 hat die Antragstellerin beim Antragsgegner beantragt, auch den Beitragszuschlag in Höhe von 1.678,37 € zu übernehmen und diesen direkt an die G. zu zahlen.
Mit Bescheid vom 23.03.2011 lehnte der Antragsgegner diesen Antrag ab. Zur Begründung führte er aus, dass er in Umsetzung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18.01.2011 - B 4 AS 108/10 R - lediglich verpflichtet sei, einen Zuschuss in Höhe des halben Basistarifs (= monatlich 287,72 €) der privaten Krankenversicherung zu übernehmen. Darüber hinaus könne in Anwendung der Rechtsprechung des BSG weiter nichts bewilligt werden. ...