Entscheidungsstichwort (Thema)
Erreichbarkeit. Zeit- und ortsnaher Bereich. Kindererziehung. Elternzeit. Gewöhnlicher Aufenthalt. Aufhebung der Bewilligung. Wesentliche Änderung. Erstattung. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei Ortsabwesenheit ohne Zustimmung. Keine Anwendung auf alleinerziehende Hilfebedürftige in Elternzeit
Leitsatz (amtlich)
§ 7 Abs. 4a SGB II ist nicht anwendbar auf alleinerziehende Hilfebedürftige, die sich in Elternzeit befinden.
Tenor
1. Der Bescheid vom 23.2.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.9.2010 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld II sowie die Erstattung erbrachter Leistungen.
Die Klägerin ist bei der S.-Bank angestellt. Sie lebt mit ihren Kindern M. (geb. ... 2002) und Y. (geb. ... 2008) zusammen und sorgt allein für deren Pflege und Erziehung. Seit der Geburt ihres Sohnes Y. befindet sie sich in Elternzeit; die Elternzeit endet am ... 2011.
Mit Bescheid vom 3.4.2009 bewilligte die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1.5. - 31.10.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 477 €. Die bewilligten Leistungen erhöhte sie mit Bescheid vom 6.6.2009 für die Zeit vom 1.7. - 31.10.2009 auf monatlich 488 €.
Mit Bescheid vom 23.2.2010 hob die Beklagte die Bewilligung für die Zeit vom 9.6. - 17.9.2009 auf; zugleich forderte sie von der Klägerin Erstattung eines Betrags in Höhe von 2.075,04 €. Zur Begründung gab sie an, die Klägerin habe sich im streitigen Zeitraum in Tunesien aufgehalten, also außerhalb des in der Erreichbarkeitsanordnung (EAO) definierten zeit- und ortsnahen Bereichs. Sie habe daher nicht unverzüglich eine Beschäftigung aufnehmen können. Aufgrund dessen hätten ihr gemäß § 7 Abs. 4a SGB II keine Leistungen zugestanden. Dies habe die Klägerin gewusst bzw. wissen müssen. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X für eine Aufhebung der Bewilligung seien somit erfüllt. Das zu Unrecht gezahlte Arbeitslosengeld II in Höhe von 1.602,33 € müsse die Klägerin gemäß § 50 SGB X erstatten, ebenso gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 335 Abs. 1 SGB III die im streitigen Zeitraum entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 472,71 €.
Hiergegen legte die Klägerin am 12.3.2010 Widerspruch ein. Sie machte geltend, sie habe sich im streitigen Zeitraum nicht in Tunesien aufgehalten. Die Beklagte stütze ihre Annahme offenbar darauf, dass von ihrem Girokonto vereinzelt Geld in Tunesien abgehoben wurde. Die Abhebungen habe aber nicht sie vorgenommen, sondern ihr Vater, der sich zur Zeit in Tunesien befinde. Sie habe noch Schulden bei ihrem Vater. Aufgrund dessen habe sie ihm ihre ec-Karte mit der Maßgabe überlassen, dass er im Notfall - nach Absprache mit ihr - einen geringen Betrag abheben dürfe; auf diese Weise habe sie ihre Schulden tilgen wollen. Eine Zahlung per Auslandsüberweisung wäre deutlich teurer gewesen. Die Ausleihung der ec-Karte habe sie nicht beeinträchtigt. Sie habe im Vorfeld etwas Geld angesammelt und ihre Einkäufe bar bezahlt. Außerdem habe sie mit ihrem Personalausweis auch ohne ec-Karte Geld von ihrem Konto abheben können. Die Miete, die sie ihrer Mutter in dieser Zeit habe schuldig bleiben müssen, habe sie nachträglich geleistet. Mittlerweile habe ihr Vater die ec-Karte wieder zurückgeschickt, damit ein solches Missverständnis nicht nochmals auftrete. Gegen die Annahme der Beklagten spreche zudem, dass sie eine schulpflichtige Tochter habe; schon aus diesem Grunde sei eine solch lange Ortsabwesenheit gar nicht möglich. Im Übrigen befinde sie sich im Hinblick auf ihren Sohn vom ... 2008 - ... 2011 in Elternzeit; das Arbeitsverhältnis bestehe weiterhin. Sie müsse sich daher nicht zur unverzüglichen Aufnahme einer Beschäftigung zur Verfügung stellen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9.9.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und bekräftigte zur Begründung ihre Auffassung, wonach sich die Klägerin im streitigen Zeitraum ohne Zustimmung außerhalb des in der EAO definierten zeit- und ortsnahen Bereichs aufgehalten habe. Der Vortrag der Klägerin sei nicht überzeugend.
Mit der am 5.10.2010 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihren Antrag weiter. Sie trägt ergänzend vor, nach Auffassung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.7.2010, L 3 AS 3552/09) finde § 7 Abs. 4a SGB II auf Bezieher von Sozialgeld keine Anwendung, da diese der Arbeitsvermittlung ohnehin nicht zur Verfügung stünden und es auf ihre Ortsanwesenheit zum Zwecke einer effektiven Vermittlung daher nicht ankomme. Gleiches gelte im vorliegenden Fall: Zwar sei sie grundsätzlich erwerbsfähig, wegen ihrer Elternzeit vom ... 2008 - ... 2011 müsse sie aber keine Beschäftigung aufnehmen, stehe also der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung. Für eine Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit fehle es daher an einer Rechtfertigung. Doch selbst wenn § 7 Abs. 4a SGB II