Entscheidungsstichwort (Thema)
Neufeststellung des Grades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht nach Ablauf einer Heilungsbewährung bei Krebserkrankung
Orientierungssatz
1. Die Funktionsbeeinträchtigungen eines Behinderten sind nach § 48 Abs. 1 SGB 10 i. V. m. § 69 Abs. 1 SGB 9 neu zu bewerten, wenn eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Diese setzt voraus, dass der veränderte Gesundheitszustand mehr als sechs Monate angedauert oder voraussichtlich anhalten wird und wenn sich der Gesamtgrad der Behinderung um wenigstens 10 erhöht oder vermindert.
2. Eine wesentliche Änderung liegt bei einer Krebserkrankung nach Ablauf der sog. Heilungsbewährung vor. Nach medizinischer Erfahrung ist nach rückfallfreiem Ablauf von fünf Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit die Krebserkrankung überwunden. Der Grad der Behinderung ist dann nur noch anhand der noch verbliebenen Funktionseinschränkungen zu bewerten.
3. Aus Einzel-GdB-Werten von viermal 20 und einmal 10 ist ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Herabstufung des GdB auf 40 und begehrt die Feststellung eines GdB von mindestens 50 über den 4. Oktober 2012 hinaus.
Bei dem Kläger hatte das Landratsamt zuletzt mit Bescheid vom 13. August 2007 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit dem 12. Juni 2006 anerkannt. In der dem Bescheid zugrunde liegenden Stellungnahme hatte der versorgungsmedizinische Dienst die Gesundheitsstörungen des Klägers wie folgt bewertet:
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1.01 |
Hauterkrankung in Heilungsbewährung |
Einzel-GdB 50 |
1.02 |
Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, |
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Polyarthrose, Teilamputation der 1. Zehe rechts |
Einzel-GdB 20 |
1.03 |
Asbestose |
Einzel-GdB 10 |
Am 5. Juni 2012 beantragte er beim LRA, den GdB neu festzustellen. Das LRA zog Untersuchungsbefunde der behandelnden Ärzte bei und hörte den Kläger mit Schreiben vom 2. August 2012 zu einer Herabstufung des GdB auf 40 an. Hierzu trug der Kläger vor, er sei aufgrund seiner Tumorerkrankung ein Hochrisikopatient. Er müsse sich bei seinem Hautarzt weiterhin engmaschig untersuchen lassen. Die Heilungsbewährung sei daher auf unbestimmte Zeit zu verlängern.
Der Beklagte stellte durch Bescheid vom 1. Oktober 2012 einen GdB von 40 seit dem 4. Oktober 2012 fest. In der dem Bescheid zugrundeliegende Stellungnahme berücksichtigte der versorgungsmedizinische Dienst folgende Gesundheitsstörungen:
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1.01 |
Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, |
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Polyarthrose, Teilamputation der 1. Zehe rechts |
Einzel-GdB 30 |
1.02 |
Schwerhörigkeit beidseits |
Einzel-GdB 20 |
1.03 |
Asbestose |
Einzel-GdB 10 |
1.04 |
Teilverlust des Dickdarms, Divertikulose |
Einzel-GdB 10 |
Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs verwies der Kläger nochmals auf seinen Vortrag im Anhörungsverfahren.
Mit Bescheid vom 26. Februar 2013 stellte der Beklagte im Rahmen eines Antrags gem. § 44 SGB X für die Zeit vom 12. Juni 2007 bis 13. Oktober 2012 einen Grad der Behinderung von 80 fest. Die Hauterkrankung in Heilungsbewährung habe in diesem Zeitraum mit einem GdB von 80 bewertet werden müssen.
Das LRA hörte erneut seinen ärztlichen Dienst an, der an seinen bisherigen Feststellungen festhielt. Der Beklagte wies den Widerspruch daraufhin durch Widerspruchsbescheid vom 19. März 2013 als unbegründet zurück.
Aus diesem Grund hat der Kläger am 10. April 2013 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Die Klägerbevollmächtigte trägt zur Begründung vor, die Schwerhörigkeit des Klägers sei mit einem Teil- GdB von 30 und die Divertikulose mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten. Die Gesundheitsbeeinträchtigungen würden im Gesamten mindestens einen GdB von 50 rechtfertigen.
Die Klägerbevollmächtigte beantragt,
den Bescheid vom 19. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 1. Oktober 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, beim Kläger über den 4. Oktober 2012 hinaus mindestens einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er stützt sich auf die im Gerichtsverfahren vorgelegte versorgungsmedizinische Stellungnahmen und hält die angefochtenen Bescheide weiterhin für rechtmäßig.
Das Gericht hat im Rahmen der Beweiserhebung die vom Kläger genannten Mediziner als sachverständige Zeugen befragt. Auf die schriftlichen Aussagen wird Bezug genommen.
Das Gericht hat anschließend die Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Orthopädie Dr. C. veranlasst. Dieser hat in seinem unter dem 20. Dezember 2013 erstatteten Gutachten folgende Diagnosen mitgeteilt: endgradige Funktionseinschränkung der Halswirbelsäule, Spannungskopfschmerz, mittelgradige Funktionseinschränkungen der BWS, chronische Lumbalgie, mittelgradige Funktionseinschränkungen der rechten Schulter, Teilverlust der rechten Großzehe. Der Gutachter ist von einer Verschlechterung der rechten Schulter ab Juni 2013 ausgegangen und hat den Gesamt-GdB ab diesem Zeitpunkt mit 50 eingeschätzt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt...