Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss wegen Aufenthalt in stationärer Einrichtung. Maßregelvollzug. Vollzugslockerung. Aufnahme einer Umschulungsmaßnahme
Leitsatz (amtlich)
Während einer gerichtlich angeordneten Unterbringung im Rahmen des Maßregelvollzuges (§ 64 StGB) greift der Leistungsausschluss gem § 7 Abs 4 S 1 SGB II auch dann, wenn der Hilfebedürftige aus der Einrichtung heraus eine Umschulungsmaßnahme in einem Berufsfortbildungswerk aufnimmt. Eine Vollzeitbildungsmaßnahme in einem Berufsfortbildungswerk ist keine Erwerbstätigkeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich im Sinne des § 7 Abs 4 S 3 Nr 2 SGB II.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum Juli 2015 bis Januar 2016.
Der am … 1990 geborene Kläger war seit dem 11.06.2013 zur therapeutischen Behandlung gem. § 64 Strafgesetzbuch im Rahmen des Maßregelvollzuges im Zentrum für Psychiatrie C. (ZfP - Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie) untergebracht. Laut Bescheinigung des ZfP vom 24.07.2015 waren mit Genehmigung der Staatsanwaltschaft Lockerungen der Maßregel entsprechend Stufen 5 und 6 eines Lockerungsplanes erfolgt (Stufe 5 seit 29.4.2015: unbegleitete Ausgänge außerhalb des Klinikgeländes; Stufe 6 seit 27.7.2015: Adaptionsphase/Freigang zur Arbeit). Vom ZfP erhielt der Kläger den monatlichen Barbetrag von 107,73 € sowie Kleidergeld in Höhe von 23,01 € „analog SGB XII“.
Am 27.07.2015 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II.
Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 12.08.2015 ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil er seit dem 11.02.2013 in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung untergebracht sei. Inhaftierte seien mit dem ersten Tag der Unterbringung von Leistungen des SGB II ausgeschlossen. Dies gelte auch für Freigänger und Inhaftierte, denen Vollzugslockerungen zum Zweck der Arbeitssuche bzw. Arbeitsaufnahme eingeräumt worden seien.
Hiergegen erhob der Kläger am 02.09.2015 Widerspruch. Er sei nur noch formal untergebracht, könne sich aber tatsächlich frei bewegen und habe dadurch theoretisch vollen Zugang zum Arbeitsmarkt. Ab dem 27.07.2015 habe er von der zuständigen Staatsanwaltschaft die Genehmigung zur Adaptionsphase/Aufnahme einer Arbeit (Stufe 6) erhalten. Sinn und Zweck dieser Stufe sei es, dass er - ganztags - von der Einrichtung aus eine extramurale Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufnehme und auch sein erarbeitetes Freizeitverhalten aus der vorhergehenden Stufe 5 umsetze und stabilisiere. Zum Nachweis legte er ein weiteres Bestätigungsschreiben des ZfP vom 14.08.2015 vor. Danach habe der Kläger am 29.04.2015 die Genehmigung der zuständigen Staatsanwaltschaft für unbegleitete Ausgänge außerhalb des Klinikgeländes (Lockerungsplan Stufe 5) erhalten, seit dem 27.07.2015 habe er die Genehmigung zum Freigang für die Arbeit (Lockerungsplan Stufe 6). Er sei demnach nur noch ambulant untergebracht und habe nach vorheriger Antragsgenehmigung jederzeit die Möglichkeit einer Arbeit nachzugehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.2015 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II sei dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung, der den Leistungsausschluss nach sich ziehe, der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Es werde von § 7 Abs. 4 SGB II jede Vollzugsform, so auch die nach § 64 StGB, umfasst. Es komme bei einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung nicht darauf an, ob sie nach der Art ihrer Ausgestaltung eine mindestens dreistündige Erwerbstätigkeit ausschließe oder ob Vollzugslockerungen gewährt würden (Bezug auf BSG, Urteil vom 24.02.2011, B 14 AS 81/09 R). Die Rückausnahme nach § 7 Abs. 4 Nr. 2 SGB II, wonach sich ein Anspruch auch bei Freigängereigenschaft ergeben könne, sei hier nicht erfüllt. Denn diese beinhalte zum einen die Voraussetzung, dass die Aufnahme eines konkreten Beschäftigungsverhältnisses erlaubt und zusätzlich auch tatsächlich ausgeübt werde. Dies sei nicht der Fall. Soweit der Kläger vorbringe, er sei nur noch formal untergebracht, ändere dies nichts an der tatsächlich noch bestehenden Unterbringung.
Hiergegen hat der Kläger am 09.10.2015 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.
Zur Begründung trägt er vor, die Ablehnung könne nicht auf § 7 SGB II gestützt werden. Es sei vielmehr die Rückausnahme nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II einschlägig. Tatsächlich habe der Kläger zwischenzeitlich eine Umschulung zum Industriemechaniker begonnen. Seit dem 11.01.2016 habe er ein Praktikum aufgenommen. Zum Beleg legte er einen Vertrag über die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme Umschulung zum Industriemechaniker (Zeitraum 13.07.2015 bis 12.07.2017) vor sowie einen Praktikumsvertrag vom...