Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnungszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung. Fachschulbesuch im ehemaligen Jugoslawien. Berufsmittelschule

 

Leitsatz (amtlich)

Die Zeit des Besuchs einer Berufsmittelschule im ehemaligen Jugoslawien (Teilrepublik Bosnien-Herzegowina) zur Erlangung einer beruflichen Erst-Ausbildung als Dreher in den Jahren 1976 bis 1979 begründet ab Vollendung des 17. Lebensjahres eine Anrechnungszeit wegen Fachschulbesuchs.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 19. September 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. März 2019 verpflichtet, für die Zeit vom ... Juni 1977 bis zum 25. Juni 1979 eine Anrechnungszeit wegen Fachschulbesuchs vorzumerken.

2. Die Beklagte hat 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vormerkung eines in den Jahren 1976 bis 1979 erfolgten Besuchs einer sog. Berufsmittelschule im ehemaligen Jugoslawien als Anrechnungszeit nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Der Kläger wurde am ... Juni 1960 im ehemaligen Jugoslawien - Teilrepublik Bosnien-Herzegowina (heutiges Bosnien-Herzegowina) geboren. Vom 1. September 1976 bis zum 25. Juni 1979 absolvierte er eine Ausbildung zum Dreher, wobei er in diesem Rahmen eine sog. Berufsmittelschule besuchte.

Am 26. Januar 2017 beantragte der Kläger unter Beifügung seines Schulabschlusszeugnisses eine Kontenklärung. Er führte in dem Antrag in Bezug auf den Besuch der Berufsmittelschule aus, er habe eine Fachschulausbildung im zeitlichen Umfang von 30 Stunden pro Woche absolviert. Darin sei auch die praktische Ausbildung enthalten gewesen; diese habe nicht in einem Betrieb stattgefunden. Am 24. April 2017 erließ die Beklagte einen Vormerkungsbescheid für die Zeit bis zum 31. Dezember 2010. Darin führte sie aus, der Besuch der Berufsmittelschule sei nicht als Anrechnungszeit vormerkungsfähig, da es sich bei der absolvierten Ausbildung zum Dreher um eine betriebliche Ausbildung mit berufsbegleitendem Unterricht gehandelt habe.

Am 20. September 2017 stellte der Kläger erneut einen Kontenklärungsantrag, mit dem er erneut die Vormerkung einer Anrechnungszeit für den Besuch der Berufsmittelschule geltend machte. Dem Antrag fügte er eine Bescheinigung seiner ehemaligen Schule vom 24. August 2017 bei. Darin bestätigte der Schulleiter den Schulbesuch des Klägers in der Zeit vom 1. September 1976 bis zum 25. Juni 1979. Am 11. Juni 2018 erließ die Beklagte einen Vormerkungsbescheid für die Zeit bis zum 31. Dezember 2011, mit dem sie die Vormerkung einer Anrechnungszeit erneut und mit derselben Begründung wie zuvor ablehnte.

Am 6. September 2018 stellte der Kläger wiederum einen Kontenklärungsantrag, dem er wiederum die Schulbescheinigung vom 24. August 2017 beifügte. Mit Bescheid vom 19. September 2018 lehnte die Beklagte die Vormerkung einer Anrechnungszeit für den Besuch der Berufsmittelschule abermals ab. Sie führte aus, sie habe die Vormerkungsfähigkeit geprüft. Die vor Vollendung des 17. Lebensjahres liegende Zeit vom 1. September 1976 bis zum ... Juni 1977 sei generell nicht vormerkungsfähig. Im Übrigen habe es sich um eine betriebsbezogene Ausbildung mit berufsbegleitendem Unterricht gehandelt. Insofern verweise sie auf ihre bisherigen Bescheide.

Am 4. Oktober 2018 erhob der Kläger Widerspruch hiergegen. Zur Begründung führte er aus, abgesehen von wenigen Betriebspraktika habe seine Berufsausbildung ausschließlich in der Schule stattgefunden. Bei der Berufsmittelschule habe es sich um eine Vollzeit-Berufsschule gehandelt, die er an fünf Tagen pro Woche besucht habe. Sie sei mit einer deutschen Berufsschule nicht vergleichbar, die lediglich eine betriebliche Ausbildung ergänze. Er legte eine Bescheinigung seiner Schule vom 8. Oktober 2018 vor, wonach er die Schule an fünf Tagen pro Woche besucht habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, bei dem Besuch der Berufsmittelschule habe es sich weder um eine Schul- noch um eine Fachschulausbildung gehandelt. Eine Einordnung als Schulausbildung scheide aus, weil nicht der theoretische Unterricht in allgemeinbildenden Fächern, sondern die Vermittlung praktischer Kenntnisse im Vordergrund gestanden habe. Einer Einordnung als Fachschulausbildung stehe entgegen, dass ein Fachschulbesuch begrifflich eine zuvor abgeschlossene Berufsausbildung voraussetze.

Am 25. April 2019 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, bei dem Besuch der Berufsmittelschule habe es sich um den Besuch einer Fachschule gehandelt. Eine Vergütung habe er während der Ausbildung nicht erhalten und er habe auch nicht alternativ die Möglichkeit gehabt, seinen Beruf dual in einem Betrieb zu erlernen. Unter Vorlage der drei Schuljahres-Einzelzeugnisse seines Cousins, der ein Jahr zeitversetzt dieselbe Schule besucht hatte, macht er weiterhin geltend, aufg...

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