Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeldanspruch. Verfügbarkeit. Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MuSchG bei Antragstellung ohne krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Fiktion der Verfügbarkeit. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein bereits bei Antragstellung bestehendes Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MuSchG steht einer Verfügbarkeit gem § 119 Abs 5 SGB 3 nicht zwingend entgegen.

2. Eine Risikoschwangerschaft führt nicht zwangsläufig zur Arbeitsunfähigkeit.

3. Die bestehende Gesetzeslücke ist verfassungskonform unter Berücksichtigung von Art 3 und 6 Abs 4 GG zu schließen. Die §§ 120, 125, 126 SGB 3 und § 11 MuSchG sind hierbei heranzuziehen.

 

Tenor

1. Unter Aufhebung des Bescheids vom 27.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.10.2009 wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld I für den Zeit-raum vom 16.11.2009 bis zum 26.11.2009 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

2. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.

3. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Bewilligung von Arbeitslosengeld I für den Zeitraum vom ... bis zum ... wegen der fehlenden Verfügbarkeit der Klägerin (Kl.) im Streit.

Die Kl. war vom ... bis zur betriebsbedingten Kündigung zum ... als “Leiterin Einkauf und Logistik„ versicherungspflichtig beschäftigt. Wegen ihrer ungewollten Kinderlosigkeit unterzog sie sich einer IVF-Behandlung, worauf am ... ihre Schwangerschaft festgestellt wurde. Vom 21.04.2009 bis zum 22.06.2009 war die Kl. arbeitsunfähig krank und bezog vom 02.06.2009 bis zum 22.06.2009 von der Beigeladenen Krankengeld. Am 23.06.2009 sprach ihr behandelnder Frauenarzt für die Restdauer der Schwangerschaft ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) aus. Den Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld I vom 29.07.2009 lehnte die Beklagte (Bekl.) durch Bescheid vom 27.08.2009 ab, weil die Kl. aufgrund des für sie bestehenden Beschäftigungsverbots nicht arbeitslos sei, da sie den Vermittlungsbemühungen der Bekl. nicht zur Verfügung stünde.

Hiergegen legte die Kl. am 02.09.2009 Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung müsse in ihrem Fall von einer fingierten Verfügbarkeit ausgegangen werden. Die Bekl. sei als Ersatzarbeitgeber zuständig. Durch Widerspruchsbescheid vom 07.10.2009 wies die Bekl. den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Kl. sei nicht arbeitslos, da sie den Vermittlungsbemühungen der Bekl. nicht zur Verfügung stünde. Ihr behandelnder Arzt habe ein generelles Beschäftigungsverbot für alle Arten einer Berufstätigkeit ausgesprochen. Nach den Ausführungen des Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 09.09.1999, B 11 AL 77/98 R) sei ein generelles Beschäftigungsverbot ohne eine die Verfügbarkeit ausschließende Arbeitsunfähigkeit nicht denkbar. Hierfür würde auch die durch den behandelnden Arzt der Kl. zunächst ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, an die sich das Beschäftigungsverbot nahtlos angeschlossen habe, sprechen. Die von der Kl. zitierten Urteile würden sich allesamt auf Sachverhalte beziehen, in denen bei bereits erfolgter Bewilligung von Arbeitslosengeld I aufgrund des nachträglichen Ausspruchs eines Beschäftigungsverbots eine Aufhebung der Bewilligung erfolgte. Diese Sachverhalte seien mit dem vorliegenden Fall der Ablehnung der Bewilligung von Arbeitslosengeld I wegen eines bereits bestehenden Beschäftigungsverbots nicht vergleichbar.

Mit ihrer am ... zum Sozialgericht ... erhobenen Klage verfolgt die Kl. ihren Antrag weiter. Sie bekräftig ihre Ausführungen zur Widerspruchsbegründung und trägt ergänzend vor, bei ihr liege keine die Verfügbarkeit ausschließenden Arbeitsunfähigkeit vor. Ihre Schwangerschaft habe sich von Anfang an komplikationslos entwickelt und sei damit nicht als Krankheit anzusehen. Die Arbeitsunfähigkeit sei lediglich für die erste kritische Phase der Schwangerschaft ausgesprochen worden, da nach einer IVF-Behandlung ein erhöhtes Abortrisiko bestehe.

Die Kl. beantragt,

den Bescheid vom 27.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 07.10.2009 aufzuheben und die Bekl. zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 16.11.2009 bis zum 26.11.2009 Arbeitslosengeld I in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrags verweist die Bekl. auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 07.10.2009.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hat ausgeführt, ein Anspruch der Kl. auf Zahlung von Krankengeld bestünde nicht, da sie nicht arbeitsunfähig krank sei. Das für die Kl. bestehenden Beschäftigungsverbot sei gerade nicht mit einer Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens des Beteiligten wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakte der Bekl. sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und...

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