Entscheidungsstichwort (Thema)
Beginn der Sozialversicherungspflicht. geringfügige Beschäftigung. Feststellung von Mehrfachbeschäftigung. Zusammenrechnung. grobe fahrlässiges Versäumnis des Arbeitgebers bei Sachverhaltsaufklärung zur versicherungsrechtlichen Beurteilung. Eintritt von Versicherungspflicht bei Wegfall der Voraussetzungen einer geringfügigen Beschäftigung auch dann mit Bekanntgabe der Feststellung. Geringfügigkeits-Richtlinien
Leitsatz (amtlich)
Die Regelung des § 8 Abs 2 S 3 SGB 4 gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber grob fahrlässig versäumt hat, den Sachverhalt für die versicherungsrechtliche Beurteilung aufzuklären.
Orientierungssatz
Zu keinem anderen Ergebnis führt Buchst B Ziff 5.3 der "Geringfügigkeits-Richtlinien" der Spitzenverbände der Krankenkassen, des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger und der Bundesagentur für Arbeit zu § 8 SGB 4. Denn bei den "Geringfügigkeits-Richtlinien" handelt es sich um keine verbindliche Rechtsnorm, sondern um eine bloße Verwaltungsvorschrift, die nicht geeignet ist, gesetzliche Regelungen (hier: § 8 Abs 2 S 3 SGB 4) zu modifizieren (vgl SG Freiburg vom 13.9.2007 - S 2 KNR 6092/06).
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 9.3.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.11.2006 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Tatbestand
Streitig ist die Versicherungspflicht einer Beschäftigung des Beigeladenen bei der Klägerin.
Der Beigeladene stand im gesamten Jahr 2005 bei der D. GmbH & Co. KG in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Darüber hinaus übte er in der Zeit vom 1.1. - 30.11.2005 beim Landratsamt R. eine geringfügige Beschäftigung aus.
Vom 1.7. - 31.10.2005 war der Beigeladene zudem im Betrieb der Klägerin tätig. Sein monatliches Arbeitsentgelt betrug 300 €. Die Klägerin meldete den Beigeladenen bei der Beklagten als geringfügig Beschäftigten an und führte Pauschalbeiträge zur Kranken- und Rentenversicherung ab.
Mit Bescheid vom 9.3.2006 stellte die Beklagte fest, für die Beschäftigung des Beigeladenen bei der Klägerin vom 1.7. - 31.10.2005 habe Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung bestanden. Zur Begründung gab sie an, der Beigeladene habe neben seiner versicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung mehr als eine geringfügig entlohnte Beschäftigung ausgeübt. In einem solchen Fall bleibe nur die zeitlich zuerst aufgenommene geringfügig entlohnte Beschäftigung versicherungsfrei. Jede weitere geringfügig entlohnte Nebenbeschäftigung - wie die hier streitige - sei hingegen versicherungspflichtig, denn sie werde mit der Hauptbeschäftigung zusammengerechnet. Ausgenommen sei lediglich die Arbeitslosenversicherung. Die Versicherungspflicht beginne hier am 1.7.2005: Werde bei der Zusammenrechnung mehrerer Beschäftigungen festgestellt, dass die Voraussetzungen einer geringfügigen Beschäftigung nicht mehr vorlägen, trete zwar gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV die Versicherungspflicht erst mit dem Tag der Bekanntgabe der Feststellung ein. Dies gelte aber nicht, wenn der Arbeitgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig versäumt habe, den für die versicherungsrechtliche Beurteilung maßgeblichen Sachverhalt aufzuklären. So verhalte es sich hier. Der Klägerin sei bekannt gewesen, dass der Beigeladene in einer versicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung gestanden habe. Gleichwohl habe sie eine weitere geringfügig entlohnte Beschäftigung nicht berücksichtigt bzw. abgefragt.
Hiergegen legte die Klägerin am 23.3.2006 Widerspruch ein. Sie machte geltend, sie habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt. Bei seiner Einstellung habe der Beigeladene angegeben, er übe eine versicherungspflichtige Zweitbeschäftigung aus, die nach der Steuerklasse VI abgerechnet werde. Sie habe keine Veranlassung gehabt, dem Beigeladenen zu misstrauen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8.11.2006, zugestellt am 24.11.2006, wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung ergänzend aus, die Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV, wonach die Versicherungspflicht erst mit dem Tag der Bekanntgabe der Feststellung eintrete, solle den Arbeitgeber vor möglicherweise erheblichen Beitragsnachforderungen schützen. Der Arbeitgeber sei indes nicht schutzwürdig, wenn er seine Pflichten aus § 28a SGB IV und § 28e SGB IV verletzt habe; in diesem Fall finde § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB IV keine Anwendung. Aus der Meldepflicht nach § 28a SGB IV und der Pflicht zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags nach § 28e SGB IV folge für den Arbeitgeber die Verpflichtung, das Versicherungsverhältnis des Arbeitnehmers zu beurteilen und den zugrunde liegenden Sachverhalt aufzuklären. Dies habe die Klägerin grob fahrlässig versäumt: Weder habe sie den Beigeladenen umfassend genug nach anderen Beschäftigungen gefragt noch habe sie sich von ihm schriftlich versichern lassen, dass er keine weitere geringfügige Beschäftigung ausübe.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit...