Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. fraglicher versicherter Arbeitsweg. Unfallkausalität. Handlungstendenz. ungewollte Einwirkung von außen. Beweislast. fraglicher Suizidversuch
Leitsatz (amtlich)
Liegen unabweisbare Anhaltspunkte dafür vor, dass ein Unfall auf dem üblichen Arbeitsweg auf einem versuchten Suizid beruht, trägt der Versicherte die Feststellungslast dafür, dass ein versicherter Arbeitsweg und eine ungewollte Einwirkung von außen im Sinne eines versicherten Wegeunfalls vorgelegen haben.
Orientierungssatz
1. Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass ein Arbeitsweg oder Betriebsweg nachgewiesen und lediglich das Vorliegen eines Suizids fraglich ist; in einem solchen Fall handelt es sich bei einem Suizid oder Suizidversuch um eine Einrede, für welche der Träger der Unfallversicherung die Beweislast trägt.
2. Auch wenn der Arbeitsweg mit dem Ziel begonnen wurde, den Arbeitsplatz zu erreichen, und dann - etwa aus plötzlicher Verzweiflung - der Versicherte einen Suizidversuch unternimmt, läge kein versicherter Arbeitsweg vor, weil im entscheidenden Zeitpunkt des plötzlichen Suizidversuchs der Wille, einen Arbeitsweg zurückzulegen, nicht mehr vorhanden wäre.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen eines Wegeunfalls im Streit.
Der am … geborene Kläger ist als … bei der Firma … in E. beschäftigt. Der Kläger wohnt in der P.-Straße … in E., der Beschäftigungsbetrieb befindet sich im selben Ort im S-Weg …. Die Entfernung vom Wohnort zum Arbeitsplatz beträgt ca. … m und kann von einem Fußgänger bei normalem Gehtempo in rund acht Minuten zurückgelegt werden. Ungefähr 80 % des Wegs zur Arbeit verlaufen entlang der P.-Straße, die eine Durchgangsstraße ist.
Der Kläger wurde am …12.2013 um … Uhr morgens bei Dunkelheit und leichtem Schneefall auf der P.-Straße in E. beim Betreten der Straße als Fußgänger im Bereich der linken Körperseite von einem Lkw erfasst und schwer verletzt. Aus den Akten der Polizei ergibt sich, dass es außer dem Lkw-Fahrer keine Zeugen für den Unfall gibt. Der Kläger wies zur Unfallzeit 0,19 Promille Alkohol im Blut auf, wobei der behandelnde Arzt des Klinikums P. davon ausging, dass es sich um Restalkohol bzw. um einen Nachtrunk am Unfalltag und nicht um eine Verfälschung des Alkoholkonzentrationswerts durch Desinfektionsmittel gehandelt habe. Nach den Aufnahmen der Polizei war die Straßenbeleuchtung zum Unfallzeitpunkt eingeschaltet und die Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerorts von dem Lkw-Fahrer beachtet worden. Der Kläger trug zum Unfallzeitpunkt dunkle Arbeitskleidung.
Nach dem Unfall befand der Kläger sich im Koma und machte erstmals am 15.01.2014 gegenüber seinen Ärzten Angaben dahingehend, dass er sich bei dem Unfall auf dem Weg zur Arbeit befunden habe.
Am 27.01.2014 meldeten sich sowohl der Arbeitgeber als auch der Kläger erstmalig bei der Beklagten. Der Arbeitgeber führte unter anderem aus, der Unfall habe sich auf dem Weg zur Arbeit ereignet und sei bisher versehentlich nicht der Beklagten gemeldet worden, da man sich insoweit auf die Lohnbuchhaltung verlassen habe.
Der Kläger teilte mit, dass er normalerweise mit dem Firmenwagen zur Arbeit fahre, dieser jedoch am Unfalltag in der Inspektion gewesen sei, wo er am Mittag habe abgeholt werden sollen. Deswegen sei er am Unfalltag zu Fuß zur Arbeit gelaufen. Er habe nach Verlassen der Haustüre die Straßenseite der P.-Straße gewechselt und nach ca. 200 m Wegstrecke bemerkt, dass er seinen Geldbeutel und seiner Papiere mit dem Führerschein vergessen habe. Deswegen sei er noch einmal nach Hause zurückgegangen. Beim Versuch, die Straße zu überqueren, sei er von links von einem Lkw erfasst worden. Den Geldbeutel und den Führerschein habe er für die Abholung des Firmenwagens in P. benötigt.
Nachdem die Beklagte Zweifel am Vorliegen eines Arbeitsunfalls äußerte, ergänzte der Kläger seinen Vortrag dahingehend, dass er auch zurückgehen wollte, um seine Sicherheitsschuhe anzuziehen, die er vergessen habe.
Der Sachbearbeiter der Beklagten führte am 04.02.2014 ein Gespräch mit dem Polizeiobermeister B., der die Auskunft gab, dass der Kläger die P.-Straße rechtsseitig in Richtung … hochgelaufen sei. Die Ehefrau des Klägers habe ausgesagt, dass der Kläger wohl im Hinterhof der Gaststätte Ecke … /P.-Straße an einem Zigarettenautomat Zigaretten habe holen wollen, er sei womöglich umgekehrt, um seinen vergessenen Geldbeutel zu holen. Jedenfalls sei sie zum Bäcker gegangen und ihr Ehemann sei dann plötzlich nicht mehr zu Hause gewesen. Des Weiteren gebe es Zeugenaussagen, dass der Kläger starke Alkoholprobleme gehabt habe und der Unfallhergang auf einen möglichen Suizidversuch hindeute. Zeugen hätten zudem ausgesagt, dass der Unfallhergang so gewirkt habe, als habe der Kläger sich absichtlich überfahren lassen wollen, wobei er dann erst im letzten Moment ausgewichen sei.
Der Arbeitgeber teilte am 10.02.2014 mit, das...