Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Nothilfe. Erstattungsanspruch eines Krankenhausträgers wegen stationärer Krankenhausbehandlung. örtliche Zuständigkeit. Bedürftigkeit des Nothilfeempfängers. Unaufklärbarkeit. Beweislast
Leitsatz (amtlich)
1. Kein Anspruch des Nothelfers auf Kostenerstattung für medizinische Behandlung aus Sozialhilfemitteln bei nicht feststellbarer Bedürftigkeit (Bestätigung von SG Karlsruhe vom 14.8.2015 - S 1 SO 215/15 = SAR 2015, 125).
2. Keine Haftung des Trägers der Sozialhilfe als Ausfallbürge bei ungeklärter Bedürftigkeit.
Orientierungssatz
Nach § 98 Abs 2 S 3 Alt 4 SGB 12 hat in einem Eilfall der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält, unverzüglich über die Hilfe zu entscheiden und sie vorläufig zu erbringen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Anspruch auf Übernahme von Kosten in Höhe von 1.987,80 € für die stationäre Behandlung der am 28.08.1995 geborenen bulgarischen Staatsangehörigen M. Y. (im Folgenden: Y.) in der Zeit vom 14.03. bis zum 18.03.2014 im Wege der Nothilfe aus Mitteln der Sozialhilfe geltend.
Y. befand sich in der Zeit von Freitag, dem 14.03.2014, 15:18 Uhr, bis Dienstag, dem 18.03.2014, 14:24 Uhr, unter der Aufnahmediagnose einer schlaffen Paraparese und Paraplegie (ICD 10-Schlüssel: G 82.9) zur stationären Behandlung in der Klinik für Neurologie des von der Klägerin betriebenen Krankenhauses. Dabei gab Y. u. a. an, sie halte sich erst seit zehn Tagen in Deutschland auf und wohne in der L.straße 23, K., mietfrei in Untermiete bei einem “J„. Eine Krankenversicherung bestehe nicht. Sie könne die Behandlungskosten nicht zahlen. Am 18.03.2014 stellte sie über die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) und dem Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII). Die Entlassung der Y. aus der stationären Behandlung erfolgte unter der Hauptdiagnose einer dissoziativen Bewegungsstörung (ICD 10-Schlüssel: F 44.4); außerdem diagnostizierten die Klinikärzte als Gesundheitsstörungen eine akute respiratorische Insuffizienz (ICD 10-Schlüssel: J 96.6) und eine “Beobachtung bei Verdacht auf neurologische Krankheit„ (ICD 10-Schlüssel: Z 03.3). Für die stationäre Behandlung fielen Kosten in Höhe von 1.987,80 € an.
Am 17.03.2014 (Montag) zeigte die Klägerin der Beklagten an, sie habe Y. am 14.03.2014 notfallmäßig aufgenommen. Zugleich bat sie um Übernahme der anfallenden Krankenhauskosten für die Dauer der medizinisch notwendigen Behandlungszeit. In der Folge lehnte das Jobcenter Stadt K. Leistungen nach dem SGB II ab, weil der Aufenthalt von Y. im Bundesgebiet allein zum Zwecke der Arbeitssuche erfolgt sei (eMail vom 15.04.2014). Die bulgarische Sozialversicherung teilte der Klägerin am 17.03.2014 mit, Y. sei dort seit dem 31.01.2014 nicht mehr krankenversichert. Versuche der Beklagten, die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Y. zu klären, blieben erfolglos: das Regierungspräsidium K. (RP) teilte auf telefonische Anfrage mit, Y. sei in der Bundesrepublik Deutschland noch nie ausländerrechtlich in Erscheinung getreten. Nach ebenfalls telefonischer Auskunft der Ausländerstelle beim Ordnungsamt der Beklagten war Y. in K. nicht polizeilich gemeldet. In der Frauenberatungsstelle K. war Y. nicht bekannt (eMail vom 28.05.2014). Auch der Versuch eines Hausbesuchs unter der von Y. angegebenen Anschrift in K. verlief erfolglos; den von ihr mit “J„ bezeichneten Vermieter konnte die Beklagte unter der genannten Anschrift ebenfalls nicht ermitteln. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, Voraussetzung für eine Kostenerstattung an den Nothelfer sei u.a. eine Leistungsberechtigung der in Not geratenen Person nach dem SGB XII; sie habe für die Zeit der stationären Behandlung der Y. jedoch deren persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse und damit deren Bedürftigkeit nicht ausreichend ermitteln können (Bescheid vom 05.06.2014).
Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin, zu dessen Begründung sie u.a. vortrug, Y. habe bzgl. ihrer Adresse in K. vermutlich absichtlich unrichtige Angaben gemacht, und eine Zustellung der Rechnung sowohl an die K. als auch an die aus dem Pass ersichtliche Anschrift in Bulgarien sei jeweils erfolglos geblieben, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.11.2014).
Deswegen hat die Klägerin am 03.12.2014 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, im Fall der Y. habe ein Eilfall im sozialhilferechtlichen Sinne vorgelegen. Sie - die Klägerin - habe deshalb als Nothelferin gehandelt. Y. sei auch bedürftig gewesen, da weder ein vorrangig Verpflichteter vorhanden sei noch eine Krankenversicherung in Deutschland oder Bulgarien bestehe. Gleiches gelte für eventuell vorrangige Leistungsansprüche ...