Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. Fahrkosten zu ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlungen. Ansparmöglichkeit aus dem Regelbedarf. keine Überschreitung der Regelbedarfsanteile für Verkehr und Gesundheitspflege

 

Orientierungssatz

Ein Mehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB 2 für Fahrkosten zur ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlungen kann mangels Unabweisbarkeit der Aufwendungen nicht bewilligt werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 26.01.2022; Aktenzeichen B 4 AS 81/20 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von Fahrtkosten zu Facharztterminen als Mehrbedarf nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II).

Der Kläger bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von dem Beklagten. Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 1. Februar 2015 Leistungen für den Zeitraum vom 1. Februar 2015 bis 31. Juli 2015. Er berücksichtigte einen Regelbedarf in Höhe von 399,00 Euro sowie Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von 377,88 Euro.

Am 11. Juni 2015 stellte der Kläger einen Antrag auf Übernahme der Fahrtkosten zu ärztlichen Behandlungen in C-Stadt und Marburg. Er begehrte die Erstattung der bisher entstandenen Kosten und der weiter anfallenden Kosten.

Der Kläger nutzt für die Fahrt zu den Ärzten das Kraftfahrzeug seiner Mutter, dass ihm zur Verfügung gestellt wird. Die Benzinkosten trug der Kläger selbst. Die Fahrten erfolgten vom Wohnort des Klägers nach C-Stadt und Marburg. Im April 2015 betrugen die gefahrenen Kilometer insgesamt 210km, im Mai 2015 220km, im Juni 2015 86km und im Juli 2015 125km.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 29. Juli 2015 den Antrag auf Übernahme der Fahrtkosten zu den Arztterminen des Klägers ab. Die beantragte Sonderleistung sei durch den gewährten Regelbedarf abgedeckt und stelle keinen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts dar. Eine Übernahme der Kosten sei nicht möglich. Die Entscheidung beruhe auf § 24 Abs. 1 i. V. m. § 20 SGB II. Für zusätzlich entstehende Fahrtkosten solle sich der Kläger an die Krankenkasse wenden.

Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2015 zurück. Es liege auch kein Mehrbedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II vor.

Der Kläger hat durch seine Prozessbevollmächtigte am 21. September 2015 Klage erhoben. Der Kläger sei seit Februar 2015 arbeitsunfähig erkrankt und es seien regelmäßig Fahrten nach Marburg und C-Stadt erforderlich. Die Krankenkasse des Klägers habe mit Bescheid vom 8. August 2015 die Kostenübernahme für Fahrten zur ambulanten Behandlung abgelehnt. Dagegen sei kein Widerspruch eingelegt worden. Der Kläger müsse seinen behandelnden Arzt Dr. C. einmal monatlich in C-Stadt aufsuchen. Es handele sich um den nächstliegenden Facharzt. Seine Fachärztin Frau D. müsse er auch regelmäßig aufsuchen, was im Zusammenhang mit der Klinik in Marburg stattfindet. Zur genaueren Darstellung wird eine Übersicht der seit April 2015 erfolgten Arztfahrten vorgelegt. Die Kammer verweist diesbezüglich auf Bl. 30 der Gerichtsakte. Danach ist der Kläger im April 2015 204km, im Mai 2015 228km, im Juni 2015 128km und im Juli 2015 120km gefahren. Dies stelle eine übermäßige Belastung dar, die nicht vom Regelbedarf gedeckt sei. Die Krankenkasse habe nur Fahrten nach § 60 SGB V zu übernehmen. Es sei nicht Aufgabe der Krankenkasse, Fahrten zu Ärzten zu bezahlen, die allein aufgrund von fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit nicht stattfinden könnten. Hierzu seien die Sozialleistungsträger mit der Aufgabe zur Sicherung des Existenzminimums beauftragt. Nichts Anderes ergebe sich auch aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 12. Dezember 2013. Im Regelbedarf seien 22,78 Euro monatlich für Verkehr vorgesehen, der Kläger müsse nur aufgrund der Arztbesuche mehr Geld ausgeben. Es sei aber zu berücksichtigen, dass dieser Bedarf Verkehr auch weitere Fahrten (Einkaufsmarkt etc.) abdecken solle.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 29. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, seinen Bewilligungsbescheid vom 9. Februar 2015 teilweise zurückzunehmen und dem Kläger auf den Antrag vom 11. Juni 2015 Mehrbedarfe für Fahrtkosten zu Ärzten und Psychotherapeuten zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte nimmt auf die Ausführungen in seinen Bescheiden Bezug.

Das Gericht hat bei den behandelnden Ärzten Dr. E., Herrn C. und Frau D. jeweils einen Befundbericht sowie einen Bericht bei der Universitätsmedizin Göttingen angefordert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungskla...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge