Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung/Pflegeversicherung. freiwillige Versicherung. Vorversicherungszeit. Erwerbsminderung. zu Unrecht bezogenes Arbeitslosengeld II nur bei materieller Rechtswidrigkeit. Zuständigkeit für Ansprüche auf Krankenhilfe bei Sozialhilfeträger
Leitsatz (amtlich)
1. Langjährige, gesetzlich bisher weder Kranken- noch Pflegeversicherte, ab 1.1.2005 mittels Hartz IV in den Bezug von Arbeitslosengeld (ALG) II überführte Sozialhilfeempfänger, die durch diesen Leistungsbezug wieder oder erstmals kranken- und pflegeversichert waren, während des Bezuges von ALG II tatsächlich aber entweder von Anfang an überhaupt nicht oder zumindest weniger als 12 Monate erwerbsfähig gewesen sind, ALG II ihnen also nie oder allein für einen kürzeren Zeitraum zugestanden hat, können sich, selbst wenn sie ALG II mindestens 12 Monate bezogen haben, auch im Anschluss an eine lediglich in die Zukunft gerichtete Aufhebung der Bewilligung von ALG II, die die Kranken- und Pflegeversicherungspflicht erneut entfallen lässt, in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht freiwillig weiterversichern, da sie ALG II "zu Unrecht" bezogen haben und danach die Vorversicherungszeit für den freiwilligen Beitritt nicht erfüllen, so dass auch keine erneute Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung entsteht.
2. Ein allein formell rechtmäßiger Bezug von ALG II reicht für die Erfüllung der Vorversicherungszeit nicht aus; notwendig ist ein materiell rechtmäßiger Leistungsbezug, der fehlt, wenn der Leistungsempfänger von Anfang an auf nicht absehbare Zeit wegen Krankheit oder Behinderung außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
3. Zuständig für Ansprüche auf Krankenhilfe bleibt in diesen Fällen wie vor dem ALG II-Bezug allein der Sozialhilfeträger.
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zu 1) als Krankenkasse und die Beklagte zu 2) als Pflegekasse verpflichtet sind, die 1948 geborene Klägerin rückwirkend ab 1. Juli 2006 in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) freiwillig und hieraus abgeleitet, in der Sozialen Pflegeversicherung pflichtzuversichern, nachdem die Klägerin bis 31. Dezember 2004 vom Sozialamt der Stadt Kassel, der Beigeladenen zu 1), noch Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bezogen hatte, ihr dann von der Arbeitsförderung Kassel Stadt GmbH (AFK), der Beigeladenen zu 2), vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2006 Arbeitslosengeld II (ALG II) nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) gewährt worden war und sie seit dem 1. Juli 2007 zwischenzeitlich wieder im laufenden Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII) steht, die sie erneut von der Beigeladenen zu 1) erhält.
Die aus Kroatien stammende Klägerin reiste 1996 nach dem Tod ihrer Mutter in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seither lebt sie hier im Haushalt ihrer Schwester, ohne gleichzeitig anspruchsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) zu sein. Nachdem die Klägerin an einem angeborenen Hirnschaden leidet, dabei ständig auf die Hilfe Dritter angewiesen ist, eine familiäre Versorgung der Klägerin in Kroatien mit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr gewährleistet war und ihre Schwester bereits längere Zeit in Deutschland lebte, war die Einreise der Klägerin aus humanitären Gründen im Wege der Familienzusammenführung erlaubt worden. Gleichzeitig war der Klägerin dabei aufenthaltsrechtlich eine selbständige Erwerbstätigkeit oder eine vergleichbare unselbständige Erwerbstätigkeit von Anfang an nicht gestattet worden. Eine arbeitserlaubnispflichtige Tätigkeit nur gemäß gültiger Arbeitserlaubnis. Bei jährlicher Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wurde der Unterhalt der Klägerin zunächst auch allein durch ihre Schwester und deren Ehemann sichergestellt, wobei die Klägerin auf der Grundlage eines Beschlusses des zuständigen Amtsgerichts in Deutschland von ihrer Schwester gesetzlich betreut wird. Dabei umfasst der Aufgabenkreis der Betreuung die Sorge für die Gesundheit der Klägerin, die Aufenthaltsbestimmung, die Vermögenssorge und die Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten der Klägerin. Eine dem entsprechende gerichtliche Betreuung/Pflegschaft der Klägerin war nach dem Tod ihrer Mutter auch bereits in Kroatien eingerichtet worden, was man dort damit begründet hatte, dass die Klägerin, die keine Schule besucht hat, wegen einer von Geburt an vorliegenden mentalen Retardierung "völlig arbeitsunfähig und auf fremde Hilfe angewiesen sei, nachdem sie völlig unfähig für irgendwelche Berufe, Ausbildungen und sonstige Erwerbstätigkeiten sei". In Deutschland sind dann auf Antrag der Klägerin vom 7. Juli 1997 seitens des zuständigen Verso...