Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Unterkunft und Heizung. angemessene Unterkunftskosten. schlüssiges Konzept des Sozialhilfeträgers. Bildung von Vergleichsräumen im ländlichen Raum. Aktualisierungspflicht
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Bildung von Vergleichsräumen im ländlichen Raum als Grundlage für ein schlüssiges Konzept (Anschluss und Fortführung von SG Kassel vom 19.2.2018 - S 3 AS 236/15).
2. Zum Fehlen einer erneuten Datenerhebung vier Jahre nach der einem KdU-Konzept zugrunde liegenden Ersterhebung (Anschluss und Fortführung von SG Kassel vom 24.11.2017 - S 10 AS 158/17 ER).
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid vom 30. Juni 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2017 wird abgeändert.
2. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin im Bewilligungszeitraum vom 1. Juli 2017 bis 30. Juni 2018 ab 1. Juli 2017 Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII auf der Grundlage einer monatlichen Brutto-Kaltmiete von 343,20 EUR zu gewähren.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Der Beklagte hat der Klägerin 9/10 der Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
5. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im vorliegenden Rechtsstreit S 12 SO 139/17 im Bewilligungszeitraum vom 1. Juli 2017 bis 30. Juni 2018 im Rahmen einer Leistungsgewährung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches - Sozialhilfe (SGB XII) ab 1. Juli 2017 die Gewährung von Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung höherer monatlicher Kosten der Unterkunft (KdU) im Streit; dies unter Anrechnung der vom Beklagten bereits in Höhe von monatlich 274,56 EUR berücksichtigten Kosten begrenzt auf den in Höhe von monatlich 350,00 EUR entfallenden Anteil der tatsächlichen Brutto-Kaltmiete.
Die 19… geborene Klägerin erhält auf der Grundlage einer Antragstellung vom 30. Dezember 2014 seit 1. Februar 2015 Leistungen nach dem Dritten, seit 1. Mai 2015 nach Vierten Kapitel SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung). Sie lebt seit April 1999 in einer Wohnung in der A-Straße in Eschwege (Stadt). Die Klägerin bewohnt die 77m² große Wohnung allein und zahlte hierfür zunächst eine Grundmiete von 308,00 EUR und 60,00 EUR an sogenannten kalten Nebenkosten sowie eine Heizkostenvorauszahlung von 47,00 EUR. Die Unterkunftskosten wurden vom Beklagten bis zum 30. Juni 2016 dann auch in vollem Umfang bei der Bedarfsberechnung berücksichtigt (Bescheide vom 30. Januar und 16. April 2015). Dies dann über den zunächst allein bis 30. Juni 2015 befristeten Bewilligungszeitraum hinaus im Nachfolgebewilligungszeitraum auch anschließend ab 1. Juli 2015 bis 30. Juni 2015 (Bescheide u.a. vom 15. Juli, 2. September 2015, und 24. Februar 2016). Schon im April 2015 war die Klägerin dann jedoch seitens des Beklagten unter Bezifferung der nach Auffassung des Beklagten angemessenen Kosten auch darüber informiert worden, dass die Unterkunftskosten der Klägerin für einen Ein-Personen-Haushalt unangemessen hoch seien und sie in eine kostengünstigere Wohnung umziehen müsse. Sie wurde auch aufgefordert, Gründe zu benennen, die gegen einen Umzug sprechen würden. Mit Schreiben vom 12. November 2015 wurde die Klägerin dann auch konkret über die Absicht des Beklagten informiert, die Unterkunftskosten ab Juli 2016 auf die angemessene Höhe zu senken. Die von der Klägerin zwischenzeitlich im Zeitraum August 2015 bis April 2016 vorgelegten Mietangebote hatte der Beklagte insoweit wegen Überschreitens der seinerzeitigen, nach Auffassung des Beklagten allein angemessenen Miethöchstbeträge (Brutto-Kaltmiete = monatlich 255,32 EUR) insoweit nicht akzeptiert.
Mit Bescheid vom 8. Juni 2016 teilte der Beklagte der Klägerin mit, ab Juli 2016 würden nur noch 274,56 EUR für die Brutto-Kaltmiete einschließlich Nebenkosten und 47,00 EUR an Heizkosten, das entsprach der tatsächlichen monatlichen Vorauszahlung, akzeptiert. Gleichzeitig wurden der Klägerin insoweit für den Zeitraum vom 1. Juli 2016 bis 30. Juni 2017 Grundsicherungsleistungen allein noch unter Berücksichtigung der vorgenannten Beträge weiterbewilligt.
Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 19. Juni 2016 Widerspruch ein und machte geltend, mangels eines so genannten schlüssigen Konzepts müsse der Beklagte die Unterkunftskosten der WoGG-Tabelle mit einem 10%igen Sicherheitszuschlag berücksichtigen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2016 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Dabei führte der Beklagte aus, dass die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nur in voller Höhe übernommen würden, wenn diese angemessen seien. Gemäß § 35 Abs. 2 SGB XII würden die unangemessenen Unterkunftskosten so lange übernommen, wie es dem Leistungsberechtigten nicht möglich oder zuzumuten sei, umzuziehen, jedoch in der Regel längstens für 6 Monate. Der anzuerkennende angemessene Wohnbedarf ergebe sich ...