Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Apotheker. Taxbeanstandung stellt Zahlungsverweigerung und nicht hoheitliche Maßnahme dar. keine Beiladung des betroffenen Versicherten. Möglichkeit der Aufrechnung iS der §§ 387ff BGB. Nichteinhaltung der Pflicht zur Abgabe eines rabattbegünstigenden Arzneimittels. vollständiges Entfallen des Vergütungsanspruchs. keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Nullretaxierung

 

Orientierungssatz

1. Die von einer Krankenkasse vorgenommene Taxbeanstandung stellt nach ihrem Erklärungswert lediglich eine Zahlungsverweigerung dar, nicht aber eine hoheitliche Regelung (vgl BSG vom 17.3.2005 - B 3 KR 2/05 = BSGE 94, 213 = SozR 4-5570 § 30 Nr 1).

2. Eine Beiladung des Versicherten, an den der Kläger das Arzneimittel Ranitidin abgegeben hat, war nicht erforderlich, weil die Entscheidung über den erhobenen Zahlungsanspruch nicht so unmittelbar in die Rechtssphäre des Versicherten eingreift, dass sie ihm gegenüber nur einheitlich ergehen könnte.

3. Auch wenn die Voraussetzungen des § 51 SGB 1 nicht vorliegen, besteht allgemein die Möglichkeit, eine öffentlich rechtliche Forderung im Wege der Aufrechnung in entsprechender Anwendung der §§ 387 ff BGB entgegen zu treten (vgl BSG vom 17.3.2005 - B 3 KR 11/04 R = SozR 4-2500 § 39 Nr 5). Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Leistungsbeziehungen zwischen Apotheken und Krankenkassen (vgl BSG vom 3.8.2006 - B 3 KR 7/06 R = BSGE 97, 23 = SozR 4-2500 § 129 Nr 3; und BSG vom 28.9.2010 - B 1 KR 3/10 R = BSGE 100, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6).

4. Die Nichteinhaltung der Verpflichtung zur Abgabe eines rabattbegünstigten Arzneimittels führt zum vollständigen Entfallen des Vergütungsanspruchs des Apothekers gegen die Krankenkasse.

5. Auch der Gesetzeszweck der Rabattvorschriften des § 130a Abs 8 SGB 5 spricht für das Recht der Krankenkasse auf eine Nullretaxierung.

6. Es ist unerheblich, dass das Recht zur Retaxierung nicht im Rahmenvertrag nach § 129 Abs 2 SGB 5 oder im Arzneimittellieferungsvertrag erwähnt ist.

7. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen der Nullretaxierung nicht entgegen.

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 07.05.2014; Aktenzeichen 1 BvR 3571/13, 1 BvR 3572/13)

BSG (Urteil vom 02.07.2013; Aktenzeichen B 1 KR 5/13 R)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Berufung und die Sprungrevision werden zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Beklagten, eine Retaxierung aufgrund der unterlassenen Abgabe eines rabattbegünstigten Arzneimittels in Höhe des Kaufpreises durchzuführen.

Der Kläger betreibt eine Apotheke in P. Als Mitglied des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein e.V. nimmt er an der Arzneimittelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung teil. Die beklagte Krankenkasse ist Mitglied des Verbandes der Ersatzkassen e.V. (vdek).

Am 01. Oktober 2007 verordnete der Arzt für innere Medizin Dr. - dem bei der Beklagten versicherten - unter anderem das Medikament Ranitidin - 1 A Pharma 300 100 Filmtabletten N3. Noch am selben Tag legte der Versicherte in der Apotheke des Klägers das Rezept vor. Der Kläger gab daraufhin das verordnete Präparat Ranitidin® 300 der 1 A Pharma GmbH ab und stellte der Beklagten dafür 26,19 Euro in Rechnung. Zum Zeitpunkt der Abgabe des Medikaments bestanden für wirkstoffgleiche Arzneimittel Rabattverträge zwischen der Beklagten und vier pharmazeutischen Unternehmen gemäß § 130a Abs. 8 des 5. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Im Einzelnen handelt es sich hierbei um die AbZ Pharma GmbH (Ranitidin AbZ 300 mg Filmtabletten, Verkaufspreis nach Lauer-Taxe 26, 19 Euro und Rani 300 mg AbZ Filmtabletten), die Aliud Pharma GmbH & Co.KG (Ranitidin AL 300 mg Filmtabletten, Verkaufspreis nach Lauer-Taxe 26, 19 Euro), die Betapharm Arzneimittel GmbH (Ranibeta 300 Filmtabletten, Verkaufspreis nach Lauer-Taxe 31, 04 Euro) und die Ratiopharm GmbH (Ranitidin ratiopharm 300 mg Filmtabletten, Verkaufspreis nach Lauer-Taxe 31, 04 Euro).

Am 27. Oktober 2007 legte die ebenfalls bei der Beklagten versicherte -- ein am 25. Oktober 2007 ausgestelltes Rezept vor, welches drei Verordnungen enthielt. In der ersten Verordnungszeile war ein Arzneimittel lediglich unter einer Wirkstoffbezeichnung verschrieben worden. Die Verordnung lautete: “Tramadol HCl 100 mg long Tbl . N2 (1-0-1)„. Der Kläger gab daraufhin das Präparat Tramadolor® long 100 Retardkapseln  der Hexal AG ab und stellte der Beklagten hierfür 25,49 Euro in Rechnung. Zum Zeitpunkt der Abgabe des Medikaments bestanden für wirkstoffgleiche Arzneimittel ebenfalls Rabattverträge zwischen der Beklagten und der AbZ Pharma GmbH (Tramadol AbZ 100 mg retard Kapseln, Verkaufspreis nach Lauer-Taxe 21, 46 Euro), der Aliud Pharma GmbH & Co.KG (Tramadol AL 100 mg Retardtabletten , Verkaufspreis nach Lauer-Taxe 21, 46 Euro), der Betapharm Arzneimittel GmbH (Tramabeta long 100 Retardkapseln , Verkaufspreis nach Lauer-Taxe 25, 49 Euro) und der Ratiopharm GmbH (Tramadol ratiopharm retard 100 mg Tabletten, ...

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