Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Höhe und Berechnung des Krankengeldes. freiwillig versicherter hauptberuflich selbständiger Erwerbstätiger. Beitragsfestsetzung nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage. Heranziehen des letzten Einkommensteuerbescheids, auch wenn dieser nicht das Kalenderjahr unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit betrifft. negative Einkünfte. kein "Mindestkrankengeld". § 47 Abs 4 S 2 SGB 5 als widerlegbare Vermutung. Entscheidung der Krankenkasse über Krankengeldanspruch als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Erfolgt die Beitragsfestsetzung bei freiwillig versicherten hauptberuflich selbständig Erwerbstätigen nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage, darf bei der Krankengeldberechnung das Arbeitseinkommen aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität zunächst dem für die letzte Beitragsfestsetzung zugrunde gelegten Steuerbescheid entnommen werden; dies gilt auch dann, wenn dieser Steuerbescheid nicht das Kalenderjahr betrifft, das dem Jahr, in dem die Arbeitsunfähigkeit eintritt, unmittelbar vorausgeht.

2. Werden Beiträge nach der Mindestbeitragsbemessungsgrenze aufgrund negativer Einkünfte im letzten Einkommenssteuerbescheid erhoben, ergibt sich kein Anspruch auf Krankengeld. Ein "Mindestkrankengeld" ist nicht vorgesehen.

3. Bei § 47 Abs 4 S 2 SGB V handelt es sich um eine widerlegbare Vermutung. Liegen der Krankenkasse konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass das Einkommen, wie es sich aus dem für die letzte Beitragsbemessung herangezogenen Einkommenssteuerbescheid ergibt, erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht, so muss das erzielte Arbeitseinkommen konkret ermittelt werden.

4. Entscheidend für die Beurteilung durch die Krankenkasse ist nicht der Beginn der Arbeitsunfähigkeit, sondern der Zeitpunkt der Entscheidung über den Krankengeldanspruch. Legt der Versicherte bis dahin einen Steuerbescheid vor, der für die Zeit vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit positive Einkünfte ausweist, ist dieser zu berücksichtigen.

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 08.11.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2018 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger aufgrund der Arbeitsunfähigkeit ab dem 21.06.2017 Krankengeld bis einschließlich 19.01.2018 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

3. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers hat die Beklagte zu tragen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Beklagte dem Kläger aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 21.06.2017 bis 19.01.2018 Krankengeld zu zahlen hat.

Der am 11.05.1957 geborene Kläger ist seit dem 15.08.2015 bei der Beklagten aufgrund einer selbständigen Tätigkeit mit Anspruch auf Krankengeld ab der siebten Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit freiwillig versichert. Ausweislich des Einkommensteuerbescheides vom 16.12.2015 erzielte der Kläger im Jahr 2014 aus Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer in Höhe von 2.084,00 €. Ausweislich des Einkommensteuerbescheides vom 30.11.2016 erlitt der Kläger im Jahr 2015 aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer Verluste in Höhe von 709,00 €. Die Beitragsbemessung ab dem 15.08.2015 durch die Beklagte erfolgte unter Zugrundelegung dieser Einkünfte auf Grundlage der Mindestbeitragsbemessungsgrenze.

Im Juni 2017 erkrankte der Kläger an einem Prostatakarzinom. Dem Kläger wurden von seinem behandelnden Urologen Dr. W. für die Zeit ab dem 21.06.2017 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt, die eine Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 19.01.2018 auswiesen.

Am 21.09.2017 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Auszahlung von Krankengeld aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit ab dem 21.06.2017. Dafür reichte er die entsprechenden Antragsunterlagen ein, u.a. auch den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016 vom 19.10.2017. Die Beklagte lehnte die Unterlagen dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vor, der in seiner Stellungnahme vom 02.11.2017 zu dem Ergebnis kam, dass die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit nachvollziehbar sei. Die Beklagte prüfte den Antrag unter Würdigung der gesetzlichen Bestimmungen und stellte mit Bescheid vom 08.11.2017 gegenüber dem Kläger fest, dass Krankengeld für die ab dem 21.06.2017 bestehende Arbeitsunfähigkeit nicht zu zahlen sei. Bei der Berechnung des Regelentgelts nach § 47 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sei bei Selbständigen - unabhängig von der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nach § 240 SGB V - auf das Arbeitseinkommen abzustellen, wie es sich aus den Vorschriften des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) ergebe. Arbeitseinkommen sei danach der nach den allgemeinen Gewinnvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit; Einkommen sei als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Arbeitseinkommen könne jedoch nur insoweit berücksichtig...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge