Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarzt. Verpflichtung zum Einzug der Praxisgebühr und Betreibung des Mahnverfahrens. Verfassungsmäßigkeit. Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots durch Praxisgebühr. Berechnung des Streitwertes
Orientierungssatz
1. Soweit ein Vertragsarzt - unter Inkaufnahme des damit verbundenen finanziellen Nachteils - vom Einzug der Praxisgebühr Abstand nimmt, verletzt er eine vertragsärztliche Pflicht, zu deren Einhaltung er disziplinarrechtlich gezwungen werden kann. Gleiches gilt, wenn er das ihm auferlegte Mahnverfahren nicht betreibt.
2. Weder durch die Einzugsverpflichtung bezüglich der Praxisgebühr noch durch die Mahnpflicht werden Rechte des Vertragsarztes verletzt, die durch die Verfassung geschützt wären, gleich gar nicht eine über Randbereiche des Grundrechts aus Art 12 Abs 1 GG hinausgehende Verletzung.
3. In der Praxisgebühr ist ein geeignetes Mittel zu sehen, um eine qualitativ hochwertige fachärztliche Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten mit dem Einhalten des Wirtschaftlichkeitsgebotes in Übereinstimmung zu bringen.
4. Zur Berechnung des Streitwertes bei einem Rechtsstreit über den Einzug der Praxisgebühr.
Nachgehend
Tenor
Das Anordnungsbegehren gegen die Antragsgegner zu 6) bis 13) wird abgetrennt und der Rechtsstreit insoweit an das Sozialgericht Stuttgart verwiesen.
Die Eilanträge gegen die Antragsgegner zu 1) bis 5) werden abgewiesen.
Dem Antragsteller werden die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegner zu 1) bis 5) auferlegt; die Kostenentscheidung bezüglich des abgetrennten Verfahrens bleibt dem Sozialgericht Stuttgart vorbehalten.
Der Streitwert wird auf 38.700,- EURO festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Einzugspflicht des Arztes für Patientenzuzahlungen.
Der Antragsteller nimmt an der Versorgung gesetzlich Krankenversicherter als zugelassener Vertragsarzt teil. Er ist Vorsitzender der ... und Vertreter der ....
Das Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) hat ab 2004 zu Lasten der gesetzlich Krankenversicherten die sogenannte Praxisgebühr eingeführt. Danach hat jeder Versicherte, soweit er das 18. Lebensjahr vollendet hat, je Kalendervierteljahr für jede erste Inanspruchnahme eines Vertrags(-zahn)arztes oder Vertragspsychotherapeuten - soweit sie nicht einer vertragsärztlichen Überweisung aus dem selben Quartal folgt - eine Zuzahlung von 10,- EURO an den Arzt/Zahnarzt/Psychotherapeuten zu zahlen (§ 28 Abs. 4 i. V. m. § 61 Satz 2 Buch V des Sozialgesetzbuches - SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 27.12.2003 - BGBl. I Seite 3022). Diese Zahlung hat der Leistungserbringer einzubehalten; sein Vergütungsanspruch verringert sich entsprechend (§ 43 b Abs. 2 Satz 2 SGB V).
Dieser Regelung haben die Vertragsparteien des Bundesmantelvertrags-Ärzte über den allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge (BMV-Ä) aufgrund eines Schiedsspruchs des Bundesschiedsamtes am 10.12.2003 Rechnung getragen und vereinbart, § 13 Abs. 7 und § 18 BMV-Ä neu zu fassen. Danach ist unter anderem der Vertragsarzt nicht berechtigt, auf die Zuzahlung zu verzichten; im übrigen ist das nähere zur Behandlungsverweigerung des Arztes bei Nichtzahlung des Patienten und die Einzugsverpflichtung des Arztes, der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und der Krankenkassen bei Zahlungsverweigerung oder -unvermögen geregelt. Eine Vergütung für den Zahlungseinzug und die ihm auferlegte Quittierung erhält der Arzt nicht (§ 18 Abs. 2 Satz 2 BMV-Ä), für die Mahnung werden ihm die Portokosten erstattet. Die Vollstreckungsmaßnahmen selbst sind der KV auferlegt.
Mit seinem Eilantrag vom 20.01.2004 wendet sich der Kläger zunächst gegen die Antragsgegner zu 1) bis 5) als Vertragspartner des BMV-Ä sowie als Wahrer der einheitlichen Rechtsanwendung. Gegen die Antragsgegner zu 7) bis 9) wendet er sich, weil sich sein Honoraranspruch nach den Gesamtverträgen richtet, die von den Landesverbänden der Krankenkassen vereinbart werden, nunmehr vermindert um die Praxisgebühr. Die Antragsgegner zu 6) sowie 10) bis 13) hat er in das Eilverfahren einbezogen, weil er die Praxisgebühr für eine Forderung der Krankenkassen hält, die ihre Gesamtvergütung um die vom Antragsteller zu erhebende Praxisgebühr vermindert. Als solche - so trägt er vor - sei sie eine öffentlich-rechtliche Forderung; als Privatmann jedoch könne er nur dann öffentlich-rechtlich handeln, wenn er insoweit beliehen sei; vorliegend aber seien ihm gerade keine Handlungs- und Entscheidungsbefugnisse übertragen worden, auch bestehe kein dringender Grund des Allgemeinwohls, ihn als Privaten mit dieser öffentlichen Aufgabe zu betrauen; vielmehr würden den Krankenkassen weit bessere logistische Möglichkeiten für den Einzug zur Verfügung stehen, sämtliche Mitglieder seien bei ihnen bereits datenmäßig erfasst, gegen Säumige könnte die Kasse rasch hoheitlich vorgehen; demgegenüber würden für ihn, den An...