Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Festbetragsfestsetzung -Arzneimittelbereich. Verfassungs- und EU-Recht. Wirkstoffkombination ACE-Hemmer Quinapril mit Hydrochlorothiazid
Orientierungssatz
1. Die Festbetragsregelung nach § 35 Abs 1 SGB 5 berührt nicht den Schutzbereich der Grundrechte der Artikel 12 und 14 GG und verstößt auch nicht gegen EG-Kartellrecht.
2. Die Festbetragsfestsetzung für die Wirkstoffkombination aus dem ACE-Hemmer Quinapril mit Hydrochlorothiazid ist rechtswidrig, wenn diese Festsetzung auf einem Äquivalenzfaktor von 1,5 beruht.
Tatbestand
Streitig ist eine Festbetragsfestsetzung.
Der Beigeladene zu 1) hatte mit Beschluß vom 23.02.1996 ACE-Hemmer-Kombinationen zu einer Festbetragsgruppe für Arzneimittel mit therapeutisch vergleichbarer Wirkung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V zusammengefasst und Vergleichsgrößen (sog. Äquivalenzfaktoren) für die Festbeträge gebildet. Hiervon waren auch die Kombinationen von Hydrochlorothiazid mit ACE-Hemmern (orale Darreichungsformen) betroffen. Die Festbeträge wurden von den Beklagten am 09.05.1996 beschlossen und am 15.05.1996 im Bundesanzeiger Nr. 91, S. 5447 mit Wirkung vom 01.07.1996 bekannt gemacht.
Die Kläger sind konzernverbundene pharmazeutische Unternehmen. Sie produzieren und vertreiben eine patentgeschützte Kombination von Hydrochlorothiazid und dem ACE-Hemmer Quinapril, das Arzneimittel ... Der erste ACE-Hemmer "Captopril" besitzt seit Februar 1995 keinen Patenschutz mehr; die Kombination aus Catopril und Hydrochlorothiazid genoß bis Ende 1998 Patentschutz.
Die Kläger stellen auch das Monopräparat ... her auf der Basis des Wirkstoffs Quinapril, der ebenfalls Gegenstand einer Festbetragsregelung war. Diese Festsetzung hatten die Kläger mit teilweisem Erfolg in einem Verfahren vor dem Sozialgericht Köln (Az.: S 19 KR 138/95) angefochten. Mit Urteil vom 06.10.1997 hatte das SG Köln den Beigeladenen zu 2) rechtskräftig verurteilt, den Äquivalenzfaktor für Quinapril bis zum 31.01.1998 neu festzusetzen. Mit Beschluß vom 26.06.1998 hat der Beigeladene zu 2) beschlossen, den Äquivalenzfaktor für den Wirkstoff Quinapril von 1,5 auf den Wert 1,0 neu festzusetzen.
Gegen die am 15.05.1996 im Bundesanzeiger bekanntgemachte Festsetzung der Wirkstoffkombination von Quinapril und Hydrochlorothiazid haben die Kläger am 14.06.1996 Klage erhoben. Sie sind der Auffassung, die Festsetzung verstoße gegen § 35 SGB V. Die Einbeziehung der Wirkstoffkombination von Quinapril und Hydrochlorothiazid in einer Festbetragsgruppe sei gemäß § 35 Abs. 1 Satz 4 SGB V unzulässig. Danach seien von der Gruppenbildung Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen ausgenommen, deren Wirkungsweise neuartig sei und die eine therapeutische Verbesserung bedeuteten. Diese Voraussetzungen lägen vor. Die Wirkstoffkombination aus Quinapril und Hydrochlorothiazid sei neuartig, da diejenige Wirkstoffkombination, die als erste dieser Gruppe in den Verkehr gebracht worden sei, zumindest im Zeitpunkt der Festsetzung bis 15.12.1998 unter Patentschutz gestanden habe. Nach der Systematik des § 35 SGB V habe demnach auch die Kombination aus Quinapril mit Hydrochlorothiazid als neuartig zu gelten. Dabei sei unerheblich, daß der Einzelwirkstoff Captopril inzwischen patentfrei geworden sei, da nicht nicht nur ein Einzelwirkstoff, sondern auch eine Wirkstoffkombination "Wirkstoff" im Sinne des Gesetzes sein könne. Im übrigen sei mit der Wirkstoffkombination aus Quinapril und Hydrochlorothiazid auch eine therapeutische Verbesserung verbunden.
Die Beschlußfassung des Beigeladenen zu 2) sei auch deswegen fehlerhaft, weil der Äquivalenzfaktor für Quinapril auf 1,5 und nicht, wie es sachgerecht gewesen wäre, auf 1,0 festgelegt worden sei. Zumindest sei die Kammer aufgrund der präjudiziellen Wirkung des Urteils der 19. Kammer des SG Köln, Az. S 19 KR 138/95 vom 06.10.1997 gehalten, den Äquivalenzfaktor für die Wirkstoffkombination aus Quinapril und Hydrochlorothiazid von 19,23 bzw. 17,76 ebenfalls als rechtswidrig anzusehen, denn er beruhe auf dem Äquivalenzfaktor von Quinapril von 1,5.
Darüber hinaus seien die für das Festbetragssystem in § 35 SGB V niedergelegten gesetzlichen Bestimmungen selbst verfassungswidrig. Insofern verweisen die Kläger auf den Vorlagebeschluß des BSG vom 14.06.1995 (Az.: 3 RK 20/94). Danach liege ein Verstoß gegen Artikel 80 GG und den Parlamentsvorbehalt vor, da der Gesetzgeber die Festsetzung nicht den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Ärzteschaft hätte überlassen dürfen, sondern er selbst hätte die Festbeträge in Rechtsverordnungen festlegen und politisch verantworten müssen. Denn Festbetragsregeln hätten eine preisregulierende Wirkung im Sinne eines dirigistischen Eingriffs in den Marktablauf, somit eine die Berufsausübung regelnde Tendenz, die nur durch ein Gesetz geregelt werden dürfe.
Auch sei die Festsetzung von Festbeträgen für patentgeschützte Wirkstoffe verfassungswidrig, denn durch die Aushöhlung des Patentschutzes erfolge ein unzulässiger Eingri...