Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilferecht: Anspruch auf Sozialhilfeleistungen während einer Untersuchungshaft. Höhe des Sozialhilfebedarfs eines Untersuchungshäftlings
Orientierungssatz
Auch während einer Untersuchungshaft besteht jedenfalls dann ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen, wenn der Betroffene bedürftig ist und ihm auch trotz seiner Nachfrage in der Haftanstalt keine Arbeit zugewiesen wurde, aus der er ein Einkommen erzielen kann. Dabei ist bei der Bestimmung der Höhe des Sozialhilfebedarf regelmäßig von einem verbleibenden ungedeckten Bedarf in Form eines Taschengeldes in Höhe von 15 Prozent des Regelsatzes der Regelbedarfsstufe 1 auszugehen.
Nachgehend
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 27.04.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2015 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 25.04.2015 bis zum 18.08.2015 Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von insgesamt 227,55 € zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten Sozialhilfeleistungen für Zeiten der Untersuchungshaft.
Der Kläger befand sich seit dem 19.4.2015 in Untersuchungshaft, zunächst in der Justizvollzugsanstalt (JVA) …, später in der JVA … und JVA …. Vor der Inhaftierung hatte sich der Kläger als Obdachloser in … aufgehalten und vom dortigen Jobcenter Leistungen (Arbeitslosengeld 2) bezogen.
Dem Antrag des Klägers auf Gewährung von Taschengeld vom 23.4.2015 -Eingang 25.4.2015- war die Mitteilung der JVA … vom 23.4.2015 beigefügt, wonach der Kläger seine Arbeitsbereitschaft erklärt habe, ihm zurzeit jedoch keine Arbeit angeboten werden könne. Mit Bescheid vom 27.4.2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab mit Verweis auf § 11 Gesetz zur Regelung des Vollzuges der Untersuchungshaft (UVollzG NRW), wonach Untersuchungsgefangenen auf Nachfrage eine wirtschaftlich ergiebige Arbeit angeboten werden soll. In Ausnahmefällen könne die Anstaltsleitung auf Antrag darlehensweise Taschengeld gewähren. Der Kläger müsse seine Ansprüche gegenüber dem zuständigen Vollzugsträger durchsetzen. Der Kläger erhob Widerspruch mit Schreiben vom 7.5.2015 und machte geltend, das von der Anstaltsleitung mögliche darlehensweise Taschengeld berühre die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers nicht. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.7.2015 zurück. Es liege nicht im Ermessen der JVA, dem Untersuchungsgefangenen Arbeit anzubieten. Die lapidare Mitteilung der JVA, aus Arbeitsmangel habe keine Arbeit angeboten worden können, reiche nicht aus, um den Vorrang, sich Taschengeld durch Arbeit zu verdienen, zu beseitigen. Es gehöre zu den Verpflichtungen eines antragstellenden Untersuchungsgefangenen nachzuweisen, dass er sich nachdrücklich um Arbeit bemüht habe und den Anspruch auf Zuteilung von Arbeit gegenüber der JVA auch versucht habe durchzusetzen. Vor Beginn der Arbeit könne die JVA darlehnsweise Taschengeld gewähren. Ein Anspruch nach dem SGB XII setze zudem den Nachweis der Hilfebedürftigkeit des Untersuchungsgefangenen voraus; hieran fehle es.
Der Kläger hat Klage erhoben und macht Taschengeld iHv 27% des Regelsatzes nach § 27b Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch -Sozialhilfe- (SGB XII) geltend. Er habe in der JVA trotz ernsthafter Bemühungen keine Arbeitsstelle erhalten. Dies sei keine willkürliche Entscheidung gewesen, zumal er aufgrund seiner Methadonsubstitution extrem eingeschränkt einsetzbar sei. Es könne nicht zu seinen Lasten gehen, wenn die Beklagte meint, die JVA bemühe sich nicht ordnungsgemäß um eine Beschäftigungsmöglichkeit für ihn. Das von der JVA geleistete Taschengeld sei nachrangig, zudem nur darlehensweise. Er habe nur für den Monat Mai 2015 einen Taschengeldvorschuss iHv 8,64 Euro erhalten.
Der Kläger hat die Bescheinigung der JVA … vom 27.7.2015, die Schreiben der Evangelischen Sozialberatung …. an das Jobcenter …. vom 5.3.2015 und die Meldebestätigung der Evangelischen Sozialberatung … vom 18.8.2015 zu den Gerichtsakten gereicht.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihm Taschengeld in Höhe von 27% des Regelsatzes für die Zeit ab dem 23.4.2015 bis zum 18.8.2015 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte vertieft ihren Vortrag. Das vom Kläger vorprozessual angeführte Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) vom 7.5.2012 (-L 20 SO 55/12-) sei mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, da der dortige Kläger in einer forensischen Einrichtung einsaß und erwiesenermaßen nicht habe arbeiten können. Das LSG NRW und das Bayerische Landessozialgericht (Bay. LSG) in einem Fall eines Untersuchungsgefangenen in einem Krankenhaus (Beschluss vom 26.8.2005 -L 11 B 492/05 SO ER-) hätten Taschengeld iHv 15% des Eckregelsatzes bestätigt. Daher könne der Kläger mit seinem Begehren auf Taschengeld iHv 27% des Eckreg...