Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an einen rechtswirksamen Therapiehinweis des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen für ein Arzneimittel
Orientierungssatz
1. Bei einem von Wertungen bestimmten Vorgehen der Verwaltung ist die richterliche Kontrolle darauf beschränkt, ob der Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt ist, die Grenzen der Beurteilungsermächtigung eingehalten und keine falschen Wertmaßstäbe eingeschlossen sind.
2. Diesen Kriterien genügt es nicht, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nach dessen Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung ohne nachvollziehbares tieferes wissenschaftliches Eindringen in die pharmakologisch-wissenschaftlichen Zusammenhänge Stellung gegen wissenschaftlich fundierte Beurteilungen bezieht. Werden zwei medizinische Wirkstoffe miteinander verglichen, ohne dass Studienergebnisse vorliegen und wird dennoch für einen der beiden dies als Nachteil gewertet, so ist der entsprechende Hinweis des Bundesausschusses aufzuheben.
Nachgehend
Tenor
Der Therapiehinweis des Beklagten bezüglich des Wirkstoffes "Clopidogrel" vom 16.02.2000 wird aufgehoben. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin werden dem Beklagten auferlegt. Sonst sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Therapiehinweis nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung ("Arzneimittel-Richtlinien/AMR") in der Fassung vom 31.08.1993, zuletzt geändert am 13.05.2002. Die Klägerin produziert und vertreibt die Fertigarznei Plavix mit dem Wirkstoff Clopidogrel. Das Präparat ist bis Februar 2013 patentgeschützt. Wesentliche Wirkung des Wirkstoffes ist die Verhinderung von Blutpfropfbildungen. Damit dient das Arzneimittel der Verminderung arteriosklerotischer Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Es wird eingesetzt bei Patienten mit symptomatischer Arteriosklerose, die einen ischämischen Schlaganfall erlitten hatten ( 7 Tage bis 6 Monate zurückliegend), einen Herzinfarkt (wenige Tage bis 35 Tage zurückliegend) oder bei Patienten mit einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK). Die jährlichen Behandlungs- kosten betragen ca. 1.040,- EURO. Konkurrierende Wirkstoffe sind die Acetylsalicylsäure (ASS) sowie Ticlopidin, das im Hinblick auf seine Nebenwirkungen nur beschränkt eingesetzt wird. Die Wirksamkeit von Clopidogrel ist durch die sogenannte CAPRIE-Studie belegt. Sie ist in 16 Ländern an über 360 medizinischen Centren über 3 Jahre an 19185 Probanden durchgeführt; die durchschnittliche Behandlungsdauer betrug 1,9 Jahre. Die Probanden litten unter Atherothrombosen, die durch Herzinfarkt, ischämischen Schlaganfall oder PAVK manifest geworden waren. Ischämische Ereignisse traten bei der mit Plavix behandelten Gruppe pro Jahr bei 5,32 v.H. gegenüber 5,83 v.H. der ASS-Kontrollgruppe auf. Verantwortlich für eine Thrombozytenaggregation ist Adenosindiphosphat (ADP). Clopidogrel greift an den ADP-Rezeptoren der Thrombozyten n, in dem es die Aktivierung der Glykoproteinllb/Illa-Rezeptoren verhindert. Die Thrombozytenaggregation wird in der Endstrecke über den Gplibillia-Rezeptor vermittelt, an dem Fibrinogen zur Vernetzung der Plättchen gebunden wird. Dem gegenüber hemmt ASS die Prostaglandiribildung; Prostaglandine wiederum hemmen die Thrombozytenaggregation. Am 16.02.2000 beschloss der Beklagte eine Änderung der Therapiehinweise, wie sie in Nr. 14 der AMR vorgesehen sind. In ihnen werden Indikation von Clopidrogel, Wirkung und Wirksamkeit beschrieben; anschließend werden Risiken aufgeführt und Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnungsweise gegeben: Clopidogrel (z.B. Pfavix, lscover) Indikation Verminderung arteriosklerotischer Ereignisse (Myokardinfarkt, ischämischer Schlaganfall, vaskulär bedingter Tod) bei Patienten mit bekannter symptomatischer Arteriosklerose, definiert durch einen ischämiebedingten Schlafanfall (7 Tage bis sechs Monate zurückliegend), Myokardinfarkt (bis 35 Tage zurückliegend) oder nachgewiesener PAVK. Im Handel sind zwei Präparate als Filmtabletten mit einem Wirkstoffgehalt von 75 mg Clopidogrel (lscover, Plavix). Die Salzform ist in beiden Präparaten als Hydrogensulfat identisch. Wirkung Clopidogrel hemmt irreversibel die Thrombozyten-Aggregation durch selektive Bindung an den mit der Acienylatcyclase gekoppelten ADP-Rezeptor an der Thrombozyten-Oberfläche. Dadurch wird die Bindung von Fibrinogen an die Plättchenoberfläche unterdrückt. Clopidogrel interagiert nicht direkt mit dem GPU/lila-Rezeptor auf der Plättchenoberfläche. Wirksamkeit Obwohl in mehreren kleineren Studien die Wirksamkeit von Clopidogrel (Clop) bereits nachgewiesen wurde, ist der therapeutische Vergleich mit Acetylsalicylsäure (ASS) in der CAPRIE-Studie an 19185 Patienten über einen Zeitraum von zwei Jahren mit nachgewiesenen arteriskleprot...