Entscheidungsstichwort (Thema)
Absenkung des Arbeitslosengeld II. Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung. keine wiederholte Pflichtverletzung bei fehlendem Sanktionsbescheid für erste Pflichtverletzung
Orientierungssatz
1. Die Wirksamkeit einer Rechtsfolgenbelehrung iS des § 31 Abs 1 S 1 SGB 2 erfordert, dass sie konkret, richtig und vollständig ist, zeitnah im Zusammenhang mit dem jeweiligen Angebot erfolgt, sowie dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in verständlicher Form erläutert, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen aus seinem Verhalten folgen (Anschluss an BSG vom 18.2.2010 - B 14 AS 53/08 R = BSGE 105, 297 = SozR 4-4200 § 31 Nr 5 und vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R = SozR 4-4200 § 31 Nr 3).
2. Rechtsfolgenbelehrungen, die mehreren gleichzeitig ausgehändigten Vermittlungsvorschlägen beigefügt sind und eine Vielzahl von Sanktionstatbeständen und mögliche Rechtsfolgen aufführen, ohne die jeweils konkret in Betracht kommende deutlich zu machen, genügen diesen Anforderungen nicht.
3. Gleichzeitig an einem Tag unterbreitete alternative Arbeitsangebote sind als Einheit zu betrachten und können dementsprechend nur eine Pflichtverletzung auslösen. Eine wiederholte Pflichtverletzung iS des § 31 Abs 3 SGB 2 liegt nur vor, wenn ein erstes Sanktionsereignis bereits durch rechtmäßigen Sanktionsbescheid festgestellt ist und später - nach wirksamer Belehrung über die drohende verschärfte Sanktion - eine erneute Pflichtverletzung eintritt.
Tenor
Die Bescheide vom 31.10.2008 (Bl. 719, 722 und 725 der Beklagtenakte) in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18.02.2009, 19.02.2009 und 20.02.2009 werden aufgehoben.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Beklagte das dem Kläger bewilligte Arbeitslosengeld II zu Recht für den Zeitraum 01.12.2008 bis 28.02.2009 um insgesamt 100% abgesenkt hat.
Der Kläger bezieht laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von der Beklagten. Am 09.09.2008 erstellte die Beklagte drei Vermittlungsvorschläge (Bl. 699 ff., 703 ff. und 711 ff. der Beklagtenakte), die dem Kläger nach Darstellung der Beklagten anlässlich einer persönlichen Vorsprache am 09.09.2008 übergeben wurden.
Am 31.10.2008 erließ die Beklagte drei Sanktionsbescheide. Der Kläger habe sich auf die am 09.09.2008 ausgehändigten Vermittlungsvorschläge verspätet, gar nicht bzw. nicht telefonisch beworben (Bl. 719 ff., 722 ff. und 725 ff. der Beklagtenakte). Mit dem ersten Bescheid minderte die Beklagte das Arbeitslosengeld II des Klägers für den Zeitraum 01.12.2008 bis 28.02.2009 um 30% der Regelleistung, mit dem zweiten Bescheid um 60% der Regelleistung und mit dem dritten Bescheid um 100% der Gesamtleistung. Die Beklagte ging für den Zeitraum 01.01.2009 bis 28.02.2009 von einem monatlichen Minderungsbetrag in Höhe von 391,74 Euro aus (Bescheid vom 15.01.2009, Bl. 814 ff. der Beklagtenakte).
Die am 28.11.2008 eingegangenen Widersprüche des Klägers (Bl. 745 ff. der Beklagtenakte) wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 18.02.2009, 19.02.2009 und 20.02.2009 zurück (Bl. 878 ff., 882 ff. und 886 ff. der Beklagtenakte). Auf die Begründungen der Widerspruchsbescheide wird verwiesen.
Am 11.03.2009 erhob der Kläger drei Klagen zum Sozialgericht Landshut (S 10 AS 164/09, 165/09 und 166/09). In der mündlichen Verhandlung am 11.06.2010 verband das Gericht die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 10 AS 164/09. Der Bevollmächtigte des Klägers beantragte, die Bescheide vom 31.10.2008 (Bl. 719, 722 und 725 der Beklagtenakte) in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18.02.2009, 19.02.2009 und 20.02.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen.
Sie verteidigte die angegriffenen Bescheide und führte aus, den Vermittlungsvorschlägen sei jeweils eine Rechtsfolgenbelehrung beigefügt gewesen, die den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügt habe. Wenn an einem Tag mehrere Vermittlungsvorschläge übergeben würden, sei es erforderlich, jeweils auf drei unterschiedliche mögliche Rechtsfolgen hinzuweisen. Bei jeweils konkreter Nennung einer bestimmten Sanktionshöhe drohe die Gefahr, dass von mehreren Pflichtverletzungen jedenfalls nicht alle sanktioniert werden könnten (Bl. 22 der Gerichtsakte S 10 AS 164/09).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten S 10 AS 164/09, 165/09 und 166/09 sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Sanktionsbescheide vom 31.10.2008 und die Widerspruchsbescheide vom 18.02.2009, 19.02.2009 und 20.02.2009 sind rechtswidrig, so dass ihre Aufhebung geboten ist.
1. Die Voraussetzungen einer Sanktion nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c SGB II liegen jeweils nicht vor.
Die Rechtsfolgenbelehrungen, die den Vermittlungsvorschlägen vom 09.09.2008 beigefügt waren (Bl. 701, 705 und 713 der Beklagtenakte), führen...