Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Analogleistung. Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 bei Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
§ 2 Abs 1 S 4 Nr 1 AsylbLG in der Fassung vom 15.8.2019 kann verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass Anspruchsberechtigte tatsächlich mit zumindest einer Person zusammen wirtschaften.
Tenor
I. Der Bescheid vom 05.09.2019 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 07.11.2019 und 19.12.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.01.2020 wird bis auf den Monat November 2019 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger 3/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) i. V. m. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) für die Monate September, Oktober und Dezember 2019.
Der 1997 geborene Kläger reiste am 06.05.2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der Kläger beantragte Asyl. Das Asyl-Verfahren war zum streitgegenständlichen Zeitraum nicht abgeschlossen. Der Kläger war alleinstehend und in einer Gemeinschaftsunterkunft im Zuständigkeitsbereich der Beklagten untergebracht.
Seit Mai 2019 bezog er gemäß Bescheid vom 08.05.2019 sogenannte Analogleistung nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Höhe der Regelbedarfsstufe (RBS)
1 von der Beklagten.
Mit Bescheid vom 06.06.2019 bewilligte die Beklagte dem Kläger weiterhin Leistungen nach § 2 AsylbLG in Höhe der RBS 1 für den Zeitraum Juli bis Dezember 2019 in Höhe von monatlich 364,65 EUR sowie die Abteilungen 4 und 5 in Form von Sachleistungen.
Aufgrund einer Gesetzesänderung hob die Beklagte mit Bescheid vom 05.09.2019 den Bescheid vom 06.06.2019 für den Zeitraum September bis Dezember 2019 auf und bewilligte dem Kläger nunmehr Leistungen in Höhe der RBS 2 in Höhe von 322,65 EUR. Die Abteilungen 4 und 5 wurden weiterhin als Sachleistungen gewährt. Der Kläger erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit ab Oktober 2019. Der Kläger erhielt im Oktober 589,85 EUR brutto und 468,65 EUR netto. Im November 2019 erhielt der Kläger 1.368,28 EUR netto. Im Dezember 2019 erzielte der Kläger 680,59 EUR brutto und 508,27 EUR netto. Aufgrund des Einkommens änderte die Beklagte mit den Bescheiden vom 07.11.2019 und 19.12.2019 den Bescheid vom 05.09.2019 ab und gewährte dem Kläger für Oktober 2019 51,96 EUR und für Dezember 2019 58,56 EUR. Für November 2019 wurden keine Leistungen bewilligt.
Der Kläger erhob mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 02.10.2019 Widerspruch gegen den Bescheid vom 05.09.2019. Es müssten Leistungen nach der RBS 1 bewilligt werden.
Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid der Regierung von Niederbayern vom 08.01.2020 als unbegründet zurückgewiesen. Ausweislich der Gesetzesbegründung könne von Bewohnern von Gemeinschaftsunterkünften ein Zusammenwirtschaften erwartet werden.
Mit Schreiben vom 30.01.2020 hat sich der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, an das Sozialgericht Landshut gewandt. Das Schreiben ist am 05.02.2020 eingegangen.
Die neue Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG sei evident verfassungswidrig, da sie das durch Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletze und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Zur Ermittlung des Anspruchsumfangs habe der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen. Eine Berücksichtigung der Besonderheiten bestimmter Personengruppen bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums dürfe nur unter engen Voraussetzungen erfolgen. Eine Differenzierung sei nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweiche und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden könne. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfordere eine Kontrolle der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung daraufhin, ob sie dem Ziel des Grundrechts gerecht würden. Der Grundrechtsschutz erstrecke sich auch deshalb auf das Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums, weil eine Ergebniskontrolle am Maßstab dieses Grundrechts nur begrenzt möglich sei. Hinsichtlich des spezifischen Bedarfs von Leistungsberechtigten gem. § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG habe der Gesetzgeber keinerlei Ermittlungen angestellt. Der Gesetzgeber begnüge sich vielmehr damit zu behaupten, es sei davon au...