Entscheidungsstichwort (Thema)

Alterssicherung der Landwirte. Erwerbsunfähigkeits- bzw Erwerbsminderungsrente. besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen. Rentenbezug des Ehegatten (Aktivlandwirt). Verlängerung des Fünfjahreszeitraumes. analoge Anwendung des § 13 Abs 2 Nr 1 ALG. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Die Bestimmung des § 13 Abs 1 S 1 Nr 2 ALG ist verfassungsmäßig nicht zu beanstanden, weil sie wegen der bisher geforderten Lückenlosigkeit der Beitragszahlung nunmehr wie in der gesetzlichen Rentenversicherung ein enger Bezug zur Zahlung von Beiträgen und damit zur Solidargemeinschaft gewahrt werden soll und über dies durch die Verlängerungstatbestände des § 13 Abs 2 ALG sozialrechtliche Unebenheiten in vereinzelten Fällen abgemildert werden können.

2. Der vorhergehende Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung nach § 13 ALG durch den Ehemann (Aktivlandwirt) ist der Ehefrau (Fiktivlandwirtin) als Verlängerungstatbestand iSv § 13 Abs 2 Nr 1 ALG iVm § 13 Abs 1 S 1 Nr 2 ALG zuzurechnen (Analogieschluss). Für diese analoge Heranziehung sprechen auch gewichtige verfassungsrechtliche Argumente. Unter dem Gesichtspunkt einer Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit (Art 2 GG) und des Schutzes versicherungsrechtlicher Positionen (Art 14 GG) in Verbindung mit dem Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzips (Art 20 Abs 1 und 3 GG), wobei gerade das Prinzip der Verhältnismäßigkeit berührt wird, erscheint die Erstreckung der Regelung des § 13 Abs 2 Nr 1 ALG auf die vorliegende Fallgestaltung bzgl der Prüfung des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung für die Ehefrau eines Aktivlandwirts, der bereits Rente wegen Erwerbsminderung bezieht, geradezu als geboten.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 30.03.2006; Aktenzeichen B 10 LW 3/04 R)

 

Tatbestand

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem ALG.

Die ... 1948 geborene Klägerin ist die Ehefrau eines früheren landwirtschaftlichen Unternehmers, der bereits ab Dezember 2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezieht. Die Klägerin beantragte im Oktober 2002 die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung. Gestützt auf ein Gutachten des Dr. B vom 29.11.2002, wonach sie bei den Gesundheitsstörungen "wirbelsäulenabhängige Beschwerden, chronische Bronchitis, Bluthochdruck, depressive Verstimmung" noch leichte Arbeiten 6 Stunden und mehr täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne, lehnte die beklagte Alterskasse in ihrem Bescheid vom 09.12.2002 die begehrte Sozialleistung ab, da die Klägerin nicht erwerbsgemindert sei. Im anschließenden Widerspruchsverfahren erstellte die Beklagte das weitere Gutachten vom 20.03.2003 (Dr. Sch) und wies sodann den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2003 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 10.06.2003 erhobene Klage, die die Klägerin im Wesentlichen wie folgt begründet: Der landwirtschaftliche Betrieb sei durch Pachtvertrag mit Wirkung ab 01.12.2000 bis 31.05.2012 abgegeben. Neben Lumboischialgie, Bandscheibendegeneration, Osteoporose und hypertensiver Herzinsuffizienz leide sie vor allem an einer Depression (vergleiche Attest Dr. H vom 10.09.2003). Der Verlängerungstatbestand nach § 13 Abs. 2 Ziff. 1 ALG sei analog anzuwenden, da ihr Ehemann seit 01.12.2000 Erwerbsminderungsrente von der Beklagten beziehe.

Die Kammer zog die Befundberichte der behandelnden Ärzte bei und bestimmte Dr. Z zum gerichtlichen Sachverständigen. Dieser kam in seinem Gutachten vom 16.12.2003 zu dem Ergebnis, die Klägerin leide an einer Depression erheblichen Ausprägungsgrades. Ihre Einsatzfähigkeit betrage seit Dezember 2003 unter 3 Stunden. Das Umstellungsvermögen sei deutlich beeinträchtigt.

Die Klägerin beantragt daher:

1.

In Abänderung des Bescheides vom 09.12.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2003 wird die Beklagte verurteilt, der Klägerin Erwerbsminderungsrente in gesetzlicher Höhe ab 01.01.2004 zugewähren.

2.

Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Beklagte beantragt:

Die Klage wird als unbegründet abgewiesen.

Denn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien nicht erfüllt.

Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird im Übrigen auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist sachlich auch begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 09.12.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2003 ist antragsgemäß insoweit abzuändern, als die Beklagte verpflichtet wird, der Klägerin mit Wirkung ab 01.01.2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Nach § 1 Abs. 1 ALG erhält diese Sozialleistung eine landwirtschaftliche Unternehmerin (§ 1 Abs. 3 ALG), wenn sie

1.

erwerbsgemindert nach § 43 SGB VI ist,

2.

in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens 3 Jahre Pflichtbeiträge zur landwirtschaftlichen Alterskasse gezahlt,

3.

vor Eintritt der Erwerbsminderung die Wartezeit von 5 Jahren erfüllt und

4.

das Unternehmen der Landwirtschaft abgegeben hat ...

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