Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Abgrenzung von Einkommen und Vermögen. Zuflussprinzip. Steuererstattung. Vermögensberücksichtigung
Orientierungssatz
1. Es ist kein Grund ersichtlich weshalb eine auf Geld oder Geldeswert gerichtete bestehende aber noch nicht erfüllte Forderung - wie ein Steuererstattungsanspruch - nach der Rechtsprechung des BVerwG nur dann als Vermögen angesehen werden soll, wenn es freiwillig angespart wurde (vgl BVerwG vom 18.2.1999 - 5 C 35/97 = BVerwGE 108, 296). Die Einkommensteuererstattung ist daher Vermögen iS des § 12 Abs 1 SGB 2.
2. Gegen diesen Beschluss wurde Beschwerde beim Sächsischen Landessozialgericht unter dem Aktenzeichen L 3 AS 7/05 ER eingelegt.
Tatbestand
Der Antragsteller (Ast) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Wiedergewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab 1. Juli 2005.
Die Antragsgegnerin (Ag) bewilligte dem im Jahre 1954 geborenen Ast mit Bescheid vom 30.11.2004 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.05.2005 in Höhe von monatlich 339,24 €.
Durch Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 vom 01.04.2005 erhielt der Ast und dessen Ehefrau eine Erstattung der Einkommensteuer in Höhe von 6385,86 €; dieser Betrag wurde am 04.04.2005 auf dem Konto des Ast gutgeschrieben.
Mit Bescheid vom 18.04.2005 stellte die Ag fest, dass der Ast für die Zeit ab 01.04.2005 bis voraussichtlich 08.09.2006 seinen Lebensunterhalt durch die Steuernachzahlung bestreiten könne; ab dem 01.05.2005 erfolge keine Zahlung mehr.
Am 03.05.2005 stellte der Ast einen Antrag auf Fortzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Diesen Antrag lehnte die Ag ab (Bescheid vom 17.05.2005). Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) könnten nur Personen erhalten, die hilfebedürftig seien. Hilfebedürftig sei, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern könne; vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen. Mit dem vom Ast nachgewiesenen Einkommensverhältnissen sei er nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB II; er habe deshalb keinen Anspruch auf Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Gegen beide ablehnenden Bescheide erhob der Ast Widerspruch. Er erkenne die Zahlungseinstellung für die Monate April 2005 und Mai 2005 auf Grund des sogenannten Zuflussprinzips an; bis dahin handele es sich um Einkommen. Ab 01.06.2005 aber sei der noch verbliebene Rest der Steuererstattung als Vermögen anzusehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2005 wies die Ag die Widersprüche zurück. Ohne es näher zu begründen, ging die Ag davon aus, dass es sich bei der Steuererstattung um ein einmaliges Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II handele und welches nach § 2 Abs. 3 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld vom 20.10.2004 (BGBl. I 2622) (Alg II-V) von dem Monat an zu berücksichtigen sei, in dem es zufloss.
Hiergegen erhob der Ast rechtzeitig Klage. Gleichzeitig beantragte er einstweiligen Rechtsschutz und Prozesskostenhilfe (PKH). Er habe lediglich für den Monat April 2005 kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, weil sich das zugeflossene am 01.05.2005, 0.00 Uhr in Vermögen umgewandelt habe und das Gesamtvermögen weit unter den gesetzlichen Grenzen liege.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verurteilen, ab sofort an den Antragsteller Alg II in Höhe von 339,24 € monatlich zu zahlen und dem Antragsteller PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt (sinngemäß),
den Antrag abzulehnen.
Sie hält ihre Rechtsauffassung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig und begründet. Der Ast hat Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab 01.07.2005 in Höhe von monatlich 339,24 €.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Eine Regelungsanordnung kann nach allgemeiner Ansicht (vgl. Binder u. a., SGG, Handkommentar, § 86 b Rdnr. 32, 33) nur getroffen werden, wenn ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund sowie keine Vorwegnahme der Hauptsache gegeben sind.
Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn der Ast einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Gewährung der begehrten Leistung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit hat. Ein Anordnungsgrund liegt hingegen dann vor, wenn eine besondere Eilbedürftigkeit gegeben ist und deshalb ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache dem Ast nicht zumutbar ist.
Der ...