Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Vorabentscheidung durch den EuGH. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendbarkeit auf Unionsbürger. Europarechtskonformität. Gleichbehandlungsgebot
Leitsatz (amtlich)
Es ist zweifelhaft, ob ein europarechtlicher Gleichbehandlungsanspruch von arbeitsuchenden oder ihr Aufenthaltsrecht nach Art 20 AEUV als Unionsbürger wahrnehmenden EU Ausländern der Anwendung von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 bzw § 23 Abs 3 S 1 SGB 12 entgegensteht.
Orientierungssatz
Gemäß Art 267 AEUV werden dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung folgende Fragen zur Auslegung der Verträge und der Gültigkeit und Auslegung von Sekundärrecht vorgelegt:
1. Ist der persönliche Anwendungsbereich von Art 4 EGV 883/2004 für Personen eröffnet, die keine Leistung sozialversicherungsrechtlicher oder familienfördernder Art iS des Art 3 Abs 1 der Verordnung, sondern eine besondere beitragsunabhängige Leistung iS der Art 3 Abs 3, 70 der Verordnung in Anspruch nehmen wollen?
2. Falls die Frage zu 1) bejaht wird: Ist es den Mitgliedstaaten durch Art 4 EGV 883/2004 verwehrt, zur Vermeidung einer unangemessenen Inanspruchnahme von existenzsichernden beitragsunabhängigen Sozialleistungen iS des Art 70 der Verordnung bedürftige Unionsbürger vom Bezug derartiger Leistungen, die eigenen Staatsbürgern in gleicher Lage gewährt werden, ganz oder teilweise auszuschließen?
3. Falls die Fragen zu 1) oder 2) verneint werden: Ist es den Mitgliedstaaten nach a) Art 18 AEUV und/oder b) Art 20 Abs 2 S 2 Buchst a AEUV iVm Art 20 Abs 2 S 3 AEUV und Art 24 Abs 2 EGRL 38/2004 verwehrt, zur Vermeidung einer unangemessenen Inanspruchnahme von existenzsichernden beitragsunabhängigen Sozialleistungen iS von Art 70 EGV 883/2004 bedürftige Unionsbürger vom Bezug derartiger Leistungen, die eigenen Staatsbürgern in gleicher Lage gewährt werden, ganz oder teilweise auszuschließen?
4. Falls nach Beantwortung der vorgenannten Fragen der teilweise Ausschluss von existenzsichernden Leistungen europarechtskonform ist: Darf sich die Gewährung beitragsunabhängiger existenzsichernder Leistungen für Unionsbürger außerhalb akuter Notfälle auf die Bereitstellung der erforderlichen Mittel zur Rückkehr in den Heimatstaat beschränken oder gebieten Art 1, 20, 51 der Grundrechtecharta weitergehende Leistungen, die einen dauerhaften Aufenthalt ermöglichen?
Tenor
Gemäß Art. 267 AEUV werden dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung folgende Fragen zur Auslegung der Verträge und der Gültigkeit und Auslegung von Sekundärrecht vorgelegt:
1. Ist der persönliche Anwendungsbereich von Art. 4 der VO 883/2004 für Personen eröffnet, die keine Leistung sozialversicherungsrechtlicher oder familienfördernder Art im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung, sondern eine besondere beitragsunabhängige Leistung im Sinne der Art. 3 Abs. 3, 70 der Verordnung in Anspruch nehmen wollen?
2. Falls die Frage zu 1) bejaht wird: Ist es den Mitgliedstaaten durch Art. 4 der VO 883/2004 verwehrt, zur Vermeidung einer unangemessenen Inanspruchnahme von existenzsichernden beitragsunabhängigen Sozialleistungen i. S. des Art. 70 der Verordnung bedürftige Unionsbürger vom Bezug derartiger Leistungen, die eigenen Staatsbürgern in gleicher Lage gewährt werden, ganz oder teilweise auszuschließen?
3. Falls die Fragen zu 1) oder 2) verneint werden: Ist es den Mitgliedstaaten nach a) Art. 18 AEUV und/oder b) Art. 20 Abs. 2 Satz 2 lit. a) AEUV i. V. mit Art. 20 Abs. 2 S. 3 AEUV und Art. 24 Abs. 2 der RiLi 2004/38 verwehrt, zur Vermeidung einer unangemessenen Inanspruchnahme von existenzsichernden beitragsunabhängigen Sozialleistungen im Sinne von Art. 70 der VO 883/2004 bedürftige Unionsbürger vom Bezug derartiger Leistungen, die eigenen Staatsbürgern in gleicher Lage gewährt werden, ganz oder teilweise auszuschließen?
4. Falls nach Beantwortung der vorgenannten Fragen der teilweise Ausschluss von existenzsichernden Leistungen europarechtskonform ist: Darf sich die Gewährung beitragsunabhängiger existenzsichernder Leistungen für Unionsbürger außerhalb akuter Notfälle auf die Bereitstellung der erforderlichen Mittel zur Rückkehr in den Heimatstaat beschränken oder gebieten Art. 1, 20, 51 der Grundrechtecharta weitergehende Leistungen, die einen dauerhaften Aufenthalt ermöglichen?
Gründe
I. Sachverhalt
Die Kläger wollen Leistungen der Grundsicherung, nämlich existenzsichernde Regelleistung bzw. Sozialgeld sowie anteilige Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II, erhalten, die ihnen der Beklagte gestützt auf § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II verweigert.
Die erwerbsfähige, 1989 geborene Klägerin zu 1) ist rumänische Staatsbürgerin. Sie ist zuletzt am 10.11.2010 in das Bundesgebiet eingereist. Die Stadt Leipzig stellte der Klägerin am 19.07.2011 eine unbefristete Freizügigkeitsbescheinigung für EU-Bürger mit Zuzugsdatum 27.06.2011 aus und erteilte hiervon am 28.01.2013 eine Zweitausfertigung (vgl. Erklärung gemäß § 5 FreizügigkeitsG/EU vom 19.07.2011 und Freizügig...