Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Auskunfts- und Datenherausgabeanspruch einer Krankenkasse ggü einem Transplantationszentrum bei Organtransplantation
Leitsatz (amtlich)
1. Im Wege der Stufenklage steht der Krankenkasse ein Auskunfts- bzw Herausgabeanspruch für Daten zu, die für eine Priorisierung des Patienten auf einer sog "Warteliste" für eine Organtransplantation maßgeblich sind (hier: Angaben zur Dialysepflichtigkeit).
2. Dies folgt aus dem aus § 69 Abs 1 S 3 SGB 5 iVm § 242 BGB ableitbaren Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Weder das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung noch datenschutzrechtliche Gründe stehen diesem Auskunftsanspruch entgegen, da entsprechende Einschränkungen im überwiegenden Allgemeininteresse hinzunehmen und derartige Auskünfte unschwer zu erteilen sind.
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft darüber zu erteilen, welche Angaben sie betreffend:
a) den Versicherten U.H…. (Transplantation 16.06.2010),
b) die Versicherte C.... (Transplantation 05.01.2010),
c) den Versicherten D.... (Transplantation 23.02.2012),
d) den Versicherten F.... (Transplantation 25.09.2010)
gegenüber Eurotransplant zu durchgeführten Dialysen vor Lebertransplantation getätigt hat.
II. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt im Wege der Stufenklage Auskunft und gegebenenfalls anschließend Zahlung eines noch zu beziffernden Betrages aus einem öffentlich-rechtlichen Erstattungs- bzw. Schadenersatzanspruch aus unerlaubter Handlung.
Die Beklagte ist ein Krankenhaus der Maximalversorgung. Dieses führte bei Versicherten der Klägerin Lebertransplantationen durch, deren ordnungsgemäße medizinische Durchführung zwischen den Beteiligten unstreitig ist; die Kosten hierfür hat die Klägerin getragen. Streitig ist, welche Patientenangaben die Beklagte gegenüber der Vermittlungsstelle für Organtransplantationen getätigt hat und ob - vorausgesetzt die Angaben wären unrichtig - daraus ein Rechtsanspruch auf Rückerstattung (gegebenenfalls in voller Höhe) bzw. Schadensersatz abzuleiten ist.
Als vermittlungspflichtiges Organ darf eine Leber nur transplantiert werden, wenn die Vergabe nach den Regeln der Wissenschaft erfolgt. Für eine Organspende ist die Deutsche Stiftung Organspende (DSO) als Koordinierungsstelle verantwortlich. Als zuständige Institution für die Organallokation, die die Einwilligung des Spenders, die Organentnahme und den Transport umfasst, fungiert Eurotransplant. Für die Operation selbst und deren Nachbehandlung zeichnen Transplantationszentren, wie die Beklagte, verantwortlich.
Den Transplantationszentren obliegt hierbei die Meldung des für eine Transplantation geeigneten Patienten an Eurotransplant, wodurch dieser am Verteilungs- ("Matching"-) Verfahren teilnimmt. Wegen des Mangels an Organen wird der Patient anschließend auf einer Warteliste geführt, die nach Dringlichkeit und Erfolgswahrscheinlichkeit geordnet die Grundlage für eine entsprechende Organallokation darstellt und die für Eurotransplant verbindlich ist. Nach Aufnahme in die Warteliste kann der Patient am Matching- Verfahren teilnehmen. Entscheidend für die Listung ist der MELD- Score als Einschätzung der Sterbewahrscheinlichkeit binnen drei Monaten. Die Allokation erfolgt bei erwachsenen Patienten in absteigender Reihenfolge, sodass der Patient mit dem höchsten Sterblichkeitsrisiko auf der Warteliste die höchste Priorität genießt.
Lebertransplantationen werden nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation derzeit nur in 8 deutschen Städten vorgenommen, im Jahre 2011 in Leipzig insgesamt 97. Auf Grundlage einer Presseerklärung der Beklagten vom 01.01.2013 leitete die Staatsanwaltschaft Leipzig daraufhin ein Prüfverfahren ein. Ziel war es, festzustellen, ob sich aus den von der Beklagten mitgeteilten Verstößen und Unregelmäßigkeiten bei der Meldung von Kandidaten zur Lebertransplantation Anhaltspunkte ergeben, die den Anfangsverdacht auf mögliche Straftaten begründen könnten (vgl. medscape.com vom 07.01.2013, "Skandal um Lebertransplantation nun auch in Leipzig - Daten von Patienten auf der Warteliste wurden manipuliert"). Die Leipziger Staatsanwaltschaft klagte zwei ehemalige Oberärzte wegen des Verdachts an, Daten manipuliert zu haben, um Patienten schneller zu Spenderlebern zu verhelfen. Der Tatvorwurf lautete auf gemeinschaftlichen versuchten Totschlags in 31 Fällen (vgl. Spiegel vom 24.07.2015, "Anklage gegen ehemalige Oberärzte erhoben").
Durch Meldungen in der Presse wurde die Klägerin darauf aufmerksam, dass die Vergabe von Spenderorganen möglicherweise manipuliert worden sein könnte (vgl. bspw.: Süddeutsche Zeitung vom 02.01.2013: "Stunde der Lüge", zum Organspendeskandal in Leipzig; zeitonline, ebenfalls vom 02.01.2013: "Organvergabe: Leipziger Ärzte haben bei Transplantationen manipuliert"; Westdeutsche Zeitung vom 03.01.2013, "Organspende- Skandal mit Langzeitfolgen"; Interessengemeinschaft Kritische Bioethik Deutschland vom 04.01.2013: "Na...