Nachgehend

BSG (Urteil vom 22.06.2022; Aktenzeichen B 1 KR 25/21 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Der Streitwert wird für die Zeit bis zum 13. Oktober 2015 auf 852,50 Euro und ab dem 14. Oktober 2015 auf 56.642,25 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten in der Sache über die Vergütung diverser stationärer Behandlungen des bei der Beklagten versicherten Patienten Sch. (Versicherter) in folgenden Zeiträumen:

1.  06. bis 09. Januar 2011,

2.  19. bis 22. Januar 2011,

3.  23. bis 26. Februar 2011 und

4.  26. bis 29. Oktober 2011.

Bei dem Versicherten wurde erstmals Ende 2010 ein bifokales hapatozelluläres Karzinom (HCC) auf dem Boden einer Leberzirrhose diagnostiziert.

Aufgrund dessen erfolgte am 6. Januar 2011 geplant die stationäre Aufnahme zur Evaluation einer Ytrium-90-Radioembolisation (SIRT-Evaluation) in Vorbereitung einer beabsichtigten SIRT-Therapie. Während der weiteren stationären Aufenthalte wurde diese Therapie dann durchgeführt. Dabei wird ein radioaktives Material in den Körper des Patienten appliziert.

Die Klägerin stellte der Beklagten für die von ihr erbrachten Leistungen

- am 2. Februar 4.160,05 € (für den ersten stationären Aufenthalt),

- am 3. Februar 2011 18.593,85 € (für den zweiten stationären Aufenthalt),

- am 9. März 2011 18.593,85 € (für den dritten stationären Aufenthalt) und

- am 15. November 2011 18.602,05 € (für den vierten stationären Aufenthalt)

in Rechnung.

Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt e.V. (MDK) jeweils mit einer Begutachtung der Behandlungsfälle.

Dabei gelangte der MDK in seinen Gutachten vom 19. Juli 2011, 26. August 2011, 19. September 2011 sowie vom 4. Oktober 2012 jeweils zu dem Ergebnis, dass es sich dabei nicht um eine Standardtherapie zur Behandlung des hepatozellulären Karzinoms, sondern um ein experimentelles Verfahren gehandelt habe. Eine Vergütung der stationären Behandlungen könne nicht empfohlen werden, da Behandlungsalternativen nicht ausgeschöpft worden seien.

Infolgedessen verrechnete die Beklagte die von ihr geleistete Vergütung für den ersten Behandlungsfall teilweise in Höhe von 852,50 € und für die weiteren stationären Behandlungen vollständig mit Vergütungsansprüchen der Klägerin aufgrund stationärer Behandlungen weiterer Versicherter jeweils zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Hieraus ergibt sich der mit der Klage zuletzt geltend gemachte Anspruch in Höhe von 56.642,25 €.

Die Klägerin hat am 31. August 2015 zunächst lediglich den Differenzbetrag aufgrund einer Verrechnung für den ersten stationären Aufenthalt in Höhe von 852,50 € eingeklagt.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Versicherte im Rahmen der SORAMIC-Studie behandelt worden sei. Eine entsprechende Einwilligungserklärung und ein positives Votum der Ethikkommission hätten vorgelegen.

Der Verweis auf eine vermeintliche Standardmedikation greife im Rahmen einer Studienbehandlung nicht. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Blatt 9 und 10 der Akte Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2015 hat die Klägerin die Klage um 55.789,75 € erweitert und ist somit der Aufrechnung durch die Beklagte für die letzten drei Behandlungszyklen entgegengetreten. Auch in diesem Zusammenhang hat sie sich auf das Studienprivileg berufen. Es sei nicht Sinn und Zweck einer Studie, zunächst alle möglichen bzw. ambulant möglichen Behandlungsalternativen auszuschöpfen, wenn die Überlegenheit neuer Behandlungsmethoden gegenüber etablierten Behandlungsalternativen im Rahmen der Studie überprüft werden solle. Zudem habe der Versicherte auch eine Standardtherapie im Rahmen der Studie erhalten, jedoch ergänzt um dies SIRT-Therapie.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 56.642,25 € nebst 4 % Zinsen aus 852,50 € für die Zeit vom 31. August bis zum 13. Oktober 2015 sowie aus 56.642,25 € seit dem 14. Oktober 2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich zunächst mit der Klageerweiterung ausdrücklich einverstanden erklärt.

In der Sache hat sie den MDK mit der Begutachtung der vier Behandlungsfälle beauftragt.

Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 30. August 2016 zu dem Ergebnis, dass die einzig wirksame systematische (palliative) Therapie einer HCC eine solche mit dem Tyrosinkinasehemmer Sorafenib gewesen sei. Weitere palliative Maßnahmen in Gestalt unterschiedlicher interventioneller Verfahren ‚wie die transarterielle Chemoembolisation (TACE), die perkutanen Ethanol-Injektion (PEI) oder die Radiofrequenzablation (RFA) hätten ebenfalls zur Verfügung gestanden.

Da sich das HCC aufgrund des bilobären Befalls mit regionaler Lymphknotenmetastase im Stadium BCLC C befunden habe, sei im Jahr 2011 die orale Gabe von Sorafenib als Therapie der Wahl anzusehen. Diese Behandlung hätte ambulant durchgeführt werden können, während die SIRT-Therapie nur unter vollstationären Bedingungen möglich gewesen sei. Dies wird von der Klägerin auch nicht bestritten.

Die Beklagte h...

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