Nachgehend

BSG (Urteil vom 09.08.1995; Aktenzeichen 9 RVs 3/95)

 

Tenor

1. Der Bescheid des Beklagten vom 4. Mai 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 1993 wird abgeändert.

2. Der Beklagte wird verurteilt, die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" festzustellen.

3. Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Gewährung des Merkzeichens "RF". Mit Datum vom 21. Mai 1992 stellte er bei dem Beklagten einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz. In seinem Bescheid vom 4. Mai 1993 stellte der Beklagte bei dem Kläger als Behinderung dessen Querschnittslähmung und einen Grad der Behinderung von 100 fest. Außerdem wurde dem Kläger darin die Merkzeichen G, aG, H und B gewährt. Mit seinem Widerspruch vom 11. Mai 1993 begehrt der Kläger die Gewährung des Merkzeichens "RF". Zur Begründung führte er an, aufgrund seiner schweren Behinderung selbständig keinerlei Veranstaltungen besuchen zu können. Er sei sogar zum Anziehen auf fremde Hilfe angewiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 1993 wurde der Widerspruch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. Der Beklagte führte darin aus, der Kläger sei trotz seiner bestehenden Behinderung noch in der Lage, mittels eines Rollstuhls und unter Zuhilfenahme einer Begleitperson öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Deshalb könne ihm das Merkzeichen "RF" nicht gewährt werden.

Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 1993 hat der Kläger dagegen . Klage erhoben. Zur Begründung hat er angeführt, aufgrund seiner sehr hohen spastischen Querschnittslähmung und der zusätzlichen Decubitusgefahr nicht in der Lage zu sein, länger als 2 bis 3 Stunden hintereinander im Rollstuhl zu sitzen. Sein instabiler Kreislauf und sein sehr niedriger Blutdruck hinderten ihn außerdem daran, in geschlossenen Räumen mit großer Menschenansammlung längere Zeit zu verbringen. Schließlich verweist er darauf, daß Konzerte oder Theaterbesuche in seiner Heimatstadt nicht durchgeführt würden. Die Anfahrt zu einer solchen Veranstaltung betrage mindestens eine Länge von 16 km. Außerdem verweist er auf die von ihm eingereichte ärztliche Bescheinigung des Sanitätsrates K.. Daraus ergibt sich, daß der Kläger an einer hohen Querschnittlähmung bei C 4 mit kompletter motorischer und sensorischer Lähmung, Harn- und Stuhlinkontinenz, ständiger Gefährdung durch Dekubitalulcera im Gesäßbereich und einer relativen Kreislaufinsuffizienz durch eine ausgeprägte Hypotonie leidet.

Außerdem vertritt der Kläger die Auffassung, aufgrund seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Vorsitzender des "Behindertenverbandes B. ... e.V." sei keineswegs bewiesen, daß er am öffentlichen Leben teilnehme. Denn 80 % seiner Vereinstätigkeit werde in seiner Wohnung, die gleichzeitig die Vereinsadresse sei, erledigt. Darüber hinaus vertritt er die Ansicht, aufgrund der bei ihm vorliegenden Harninkontinenz und der damit verbundenen Geruchsbelästigung störend auf seine Umgebung zu wirken. Denn behindertengerechte WC's seien so gut wie nirgendwo vorhanden.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 4. Mai 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 1993 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches "RF" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage anzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, daß die Tatsache, daß der Kläger als Vorsitzender des Behindertenverbandes B. ... fungiere, für seine Teilnahme am öffentlichen Leben spreche. Außerdem verweist er darauf, daß der Hausarzt des Klägers bestätigt habe, daß sich der Kläger sicher und selbständig im Rollstuhl fortbewegen könne. Er vertritt außerdem die Auffassung, daß es nicht darauf ankomme, welche Entfernungen der Behinderte zu dem Veranstaltungsort zurücklegen müsse, am Veranstaltungsort selbst behindertengerechte Toiletten vorhanden seien oder ob die für ihn erreichbaren Veranstaltungen seinen persönlichen Bedürfnissen oder Neigungen entsprechen, ein Behinderter, der mit Geh-Hilfen stehen und gehen könne sei nicht allein deshalb ständig von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen, weil er für längere Wege einen Rollstuhl und eine Begleitperson benötige. Der Kläger sei aber in der Lage mittels eines Elektro-Rollstuhles und einer Begleitperson öffentliche Veranstaltungen zu besuchen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes sowie der von dem Beklagten durchgeführten medizinischen Ermittlungen wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten, die dem Gericht vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und auch begründet. Der Kläger hat gemäß § 4 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung über die Voraussetzung für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (vom 28. April 1992, Gesetz und Verordnungsblatt des Landes Sachsen-Anhalt Nr. 16/1992...

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