Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Angemessenheitsprüfung. Zweipersonenhaushalt im Landkreis Harz in Sachsen-Anhalt für den Zeitraum 2016-2020. Anforderungen an das schlüssige Konzept. Datenerhebung und -auswertung. keine Pflicht zur Heranziehung des bundesweiten Heizspiegels. sozialgerichtliches Verfahren. Untersuchungsmaxime. Beweiswürdigung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Einbeziehung von SGB II-Daten bei der Datenerhebung entspricht den methodischen Mindestanforderungen an ein schlüssiges Konzept zumindest dann, wenn die Gefahr einer unvollständigen Erfassung des Wohnungsmarktes erkannt und durch geeignete Gegenmaßnahmen (Rückgriff auf eine breitere Datengrundlage, Extremwertkappung, iteratives Rechenverfahren) entschärft wird.
2. Der erhebliche Umfang der einbezogenen SGB II-Daten im Konzept muss im Rahmen der Beweiswürdigung im Einzelfall nicht zwingend zu dem Schluss führen, dass Wohnungen des einfachen Standards methodisch fehlerhaft überrepräsentiert sind. Die Systematik des § 22 SGB II erlaubt es nämlich nicht, von der Leistungsgewährung auf den tatsächlich genutzten Wohnstandard zu schließen, da eine Vielzahl von Gründen denkbar sind, warum ein Leistungsempfänger nicht in einer Wohnung des einfachen, sondern des mittleren oder gehobenen Standards lebt.
3. Die Gefahr einer disproportionalen Stichprobe (zB durch unterrepräsentierte Privatvermieter) besteht auch bei einer methodisch fehlerfreien Erhebung. Sie widerspricht nicht zwingend den methodischen Mindestanforderungen, sondern muss im Einzelfall auf ihre verzerrende Wirkung überprüft werden. Es ist nicht erkennbar, dass Mietverhältnisse mit Privatvermietern in einer solch erheblichen Weise von Mietverhältnissen mit institutionellen Vermietern abweichen, dass eine Repräsentativität allein deswegen abzulehnen ist.
4. Die Prüfung der methodischen Mindestanforderungen erfordert nicht zwingend eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Rohdaten eines Konzepts, da die freie richterliche Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) ein wertender Vorgang ist, der keinen mathematisch-statistischen Regeln unterliegt. Eine vereinzelte Prüfung der Rohdaten würde die Beweiswürdigung zu einem mathematisch-statistischen Rechenverfahren verkommen lassen und Detailfragen aufwerfen, die durch das Gericht nicht beantwortet werden können.
5. Bei den Heizkosten kann ein Anscheinsbeweis zu Lasten des Leistungsempfängers auch auf das Überschreiten eines durch den Grundsicherungsträger selbst ermittelten Grenzwerts gestützt werden, wenn dieser Wert im Rahmen der Methodenfreiheit nachvollziehbar ermittelt wurde. Der Rückgriff auf den "Bundesweiten Heizspiegel" ist nicht zwingend erforderlich.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Kern über die Frage, ob das Konzept der Beklagten zur Ermittlung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Landkreis Harz den gesetzlichen und höchstrichterlichen Anforderungen entspricht.
Die Klägerseite erhielt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Streitgegenständlich ist der Bewilligungszeitraum von März 2017 bis Februar 2018.
Die Klägerseite bildet einen Zwei-Personen-Haushalt und zog im Januar 2014 - ohne vorherige Zusicherung und kostensteigernd - von Halberstadt nach Ballenstedt. Die tatsächlichen Aufwendungen lagen für die Unterkunft bei 325,00 Euro monatlich, für die Heizung bei 158,00 Euro monatlich.
Mit dem Bescheid vom 05.04.2017 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 29.06.2017 wurden Unterkunftskosten in Höhe von 322,50 Euro und Heizungskosten in Höhe von 81,00 Euro anerkannt. Davon ausgenommen ist der Januar 2018: Hier wurden unter Verweis auf das Guthaben aus der Jahresabrechnung 2017 keine Heizkosten berücksichtigt. Zur Begründung wurde angeführt, dass aufgrund des nicht erforderlichen Umzugs der Kläger nur die (dynamisierten) Kosten der alten Wohnung zu berücksichtigen seien. Im Übrigen könne die Übernahme nur im Rahmen der angemessenen Unterkunfts- und Heizkosten erfolgen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Änderungsbescheid vom 29.06.2017 verwiesen (Bl. 33 ff. d. A.).
Die Kläger legten am 05.05.2017 gegen den Bescheid vom 05.04.2017 Widerspruch ein.
Mit dem Widerspruchsbescheid vom 31.08.2017 wurde dem Widerspruch im Umfang des Änderungsbescheids vom 29.06.2017 abgeholfen. Der Übernahme der tatsächlichen Unterkunfts- und Heizungskosten wurde weiterhin abgelehnt. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Widerspruchsbescheid verwiesen (Bl. 47 ff. d. A.).
Am 22.09.2017 hat die Klägerseite Klage erhoben.
Im laufenden Klageverfahren hat die Beklagte ihr Konzept nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 30.01.2019 (B 14 AS 12/18 R, B 14 AS 10/18 R) nachgebessert. Auf Grundlage dieses Konzepts ist am 09.04.2020 eine neue Richtlinie zur Feststellung der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung in Kraft getreten. Es wird Bezug genommen auf die Richtlinie vom 09.04.2020 sowie das Konz...