Entscheidungsstichwort (Thema)
Entstehung des Krankengeldanspruchs
Leitsatz (amtlich)
1. Solange durchgehend Arbeitsunfähigkeit besteht, genügt für die Entstehung des Krankengeldanspruchs eine erste ärztliche Feststellung. § 46 S. 1 Nr. 2 SGB V regelt nur den Beginn des Krankengeldanspruchs. Wenn die ärztliche Feststellung eine Prognose für ein voraussichtliches Ende der Arbeitsunfähigkeit beinhaltet, wird hierdurch der Anspruch auf Krankengeld nicht begrenzt (Anschluss an SG Trier vom 24.4.2013 - S 5 KR 77/12; SG Mainz, Urteil vom 24.09.2013 - S 17 KR 247/12; SG Speyer, Urteil vom 22.11.2013 - S 19 KR 600/11; entgegen BSG, Urteil vom 04.03.2014 - B1 KR 17/13 R).
2. Der Auslegungsgrundsatz der möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte aus § 2 Abs. 2 SGB I stellt eine Vorzugsregel ähnlich dem Gebot der verfassungskonformen Auslegung dar. Bei der Auslegung von Vorschriften des Sozialgesetzbuches ist daher bei Bestehen von Auslegungsalternativen nach korrekter Konkretisierungsarbeit diejenige Alternative zu bevorzugen, die die sozialen Rechte weitgehender verwirklicht.
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 03.01.2012 in Ge-stalt des Widerspruchsbescheids vom 10.07.2012 verurteilt, der Klägerin Krankengeld in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 20.01.2012 bis zum 31.01.2012 zu zahlen, soweit der Anspruch nicht durch Zahlung von Arbeitslosengeld für den gleichen Zeitraum gemäß § 107 SGB X als erfüllt gilt.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Fortzahlung von Krankengeld.
Die 1956 geborene Klägerin war zuletzt ab dem 16.07.2008 als Reinigungskraft in einem Fitnessstudio versicherungspflichtig beschäftigt und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert.
Seit dem 21.10.2011 war sie zunächst wegen einer Gastroenteritis (A09.9) arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 24.10.2011 war bei der Klägerin ein Carpaltunnelsyndrom (G56.0) rechts diagnostiziert worden.
Der Facharzt für Neurologie Dr. G. stellte am 11.11.2011 eine Folgebescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin mit einer voraussichtlichen Dauer bis zum 22.11.2011 aus. Laut Bescheinigung war die Klägerin seit dem 28.10.2011 arbeitsunfähig. Auf Anfrage der Beklagten teilte Dr. G. am 11.11.2011 mit, dass mit Arbeitsunfähigkeit bis zur Operation zu rechnen sei. Nach der Operation sei mit sofortiger Besserung zu rechnen.
Das Arbeitsverhältnis endete zum 30.11.2011 durch fristlose Kündigung. Das Ende des Arbeitsverhältnisses zum 30.11.2011 wurde durch Vergleich vor dem Arbeitsgericht Mainz am 29.11.2011 bestätigt. Hierbei wurde ebenfalls vereinbart, dass die Klägerin für die Monate Oktober 2011 und November 2011 Arbeitsentgelt auf Basis eines Bruttoentgelts von 850 € erhalten soll.
Am 11.11.2011 erteilte die Beklagte der Klägerin folgenden schriftlichen Hinweis:
"Der Anspruch auf Krankengeld entsteht grundsätzlich ab dem auf den Tag der ärztlichen Feststellung folgenden Tag. Die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit hat der Arzt jeweils auf der AU-Bescheinigung bzw. dem Auszahlungsschein für Krankengeld zu bestätigten. Der fortlaufende Anspruch auf Krankengeld setzt voraus, dass die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit jeweils vom behandelnden Arzt abschnittsweise lückenlos festgestellt wird (d.h. spätestens am letzten Tag der zuletzt vorläufig bestätigten Arbeitsunfähigkeit).
Endet das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis während des Anspruchs auf Krankengeld, so bleibt die Mitgliedschaft für die Dauer des Bezugs von Krankengeld aufrecht erhalten. Entsprechendes gilt bei Wegfall von Arbeitslosengeld I. Wird die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht - wie vorstehend beschrieben - lückenlos ärztlich festgestellt, endet die mit Krankengeldanspruch ausgestattete Mitgliedschaft (vgl. Urteile des BSG vom 26.06.2007, B1KR08/07R/vom 02.11.2007, B1 KR38/06R)."
Am 30.11.2011 stellte Dr. G. eine weitere Folgebescheinigung mit voraussichtlicher Dauer der Arbeitsunfähigkeit bis zum 04.12.2011 aus.
Eine ambulante Carpaltunneloperation wurde am 05.12.2011 durch die Orthopädische Gemeinschaftspraxis Bad Kreuznach durchgeführt.
Auf einem Auszahlschein vom 05.12.2011 bescheinigte ein Arzt der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis Bad Kreuznach fortdauernde Arbeitsunfähigkeit wegen des Zustands nach Carpaltunnelsyndrom. Diese werde voraussichtlich noch 14 Tage andauern.
Auf einem weiteren Auszahlschein vom 16.12.2011 bescheinigte ein Arzt der Gemeinschaftspraxis Dr. E. et al. fortdauernde Arbeitsunfähigkeit wegen Zustand nach Carpaltunnelsyndrom (G 56.0 ZR). Voraussichtlich sollte die Arbeitsunfähigkeit bis zum 03.01.2012 andauern.
Auf einem Formblatt der Beklagten zur Einschätzung des Rehabilitationsbedarfs teilte die Gemeinschaftspraxis Dr. E. et al. am 23.12.2011 mit, dass die Dauer der Arbeitsunfähigkeit nicht absehbar sei.
Am 03.01.2012 stellte ein Arzt der Gemeinschaftspraxis Dr. E. et al. einen weiteren Auszahlschein mit der gleichen Diagnose und vora...