Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Vermögensberücksichtigung. Pflichtteilsanspruch aus Berliner Testament. ausreichendes Barvermögen des überlebenden Elternteils. keine besondere Härte

 

Orientierungssatz

1. Mit der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs im Falle eines Berliner Testaments der Eltern ist regelmäßig eine drohende schwerwiegende familiäre Konfliktsituation gegeben, welche auch eine besondere Härte im Sinne von § 12 Abs 3 S 1 Nr 6 Alt 2 SGB 2 begründen kann (vgl BSG vom 6.5.2010 - B 14 AS 2/09 R = SozR 4-4200 § 12 Nr 15, RdNr 27).

2. Soweit allerdings ausreichend Barvermögen zur Auszahlung des Pflichtteilsanspruchs zur Verfügung steht, scheidet eine besondere Härte im Regelfall aus (vgl BSG vom 6.5.2010 - B 14 AS 2/09 R = SozR 4-4200 § 12 Nr 15, RdNr 29).

3. Davon ist auszugehen, wenn die finanzielle Situation des überlebenden Elternteils es erwarten lässt, dass er trotz einer Auszahlung des Anspruchs noch mehrere Jahre seinen finanziellen Verpflichtungen vollumfänglich nachkommen kann, ohne seine Grundstücke beleihen oder verkaufen zu müssen. Ein besonderer Umstand, der eine besondere Härte begründen könnte, würde erst dann vorliegen, wenn letzteres unmittelbar oder zumindest in unmittelbarer zeitlicher Nähe drohen würde.

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger im Zeitraum von Juli bis Dezember 2015 einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hatte.

Der 1956 geborene Kläger steht im Leistungsbezug des Beklagten. Er ist allein stehend und erzielt Einkommen in monatlich unterschiedlicher Höhe aus einer selbstständigen Tätigkeit als Inhaber einer mobilen Musikschule. Er wohnt zur Miete in einem von zwei Häusern auf einem Grundstück in W, das bis April 2015 im Eigentum seines Vaters und seiner Mutter stand. Der Kläger hat einen Bruder, der jedoch nicht auf diesem Grundstück wohnt und auch nicht im Leistungsbezug des Beklagten oder eines anderen Jobcenters steht.

Mit Bescheid vom 07.11.2014 wurde dem Kläger für den - noch nicht streitgegenständlichen - Zeitraum vom 01.01.2015 bis 30.6.2015 Leistungen in vorläufiger Höhe von monatlich 620,39 € bewilligt. Die vorläufige Bewilligung erfolgte aufgrund der schwankenden Höhe des Einkommens des Klägers aus selbstständiger Tätigkeit.

2015 starb der Vater des Klägers, Herr E. H. Der Beklagte schrieb aus diesem Grund sowohl das Nachlassgericht, wie auch den Kläger selbst an und erfragte, wer Erbe des Verstorbenen sei und was zur Erbmasse gehören würde.

Mit Schreiben vom 15.05.2015 stellte der Kläger beim Beklagten einen Weiterbewilligungsantrag für das zweite Halbjahr 2015. Als Anlage legte er dem Beklagten u.a. eine Kopie des von seinen Eltern im Jahr 1990 notariell verfassten “Berliner Testaments„ vor. Im Erbvertrag heißt es: “Wir setzen uns gegenseitig, der Erstversterbende den Längstlebenden, zum alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Nach dem Tod des Längstlebenden von uns berufen wir als Erben auf dessen alsdann vorhandenen Nachlass unsere gemeinschaftlichen Kinder zu je ein halb.„ Außerdem vereinbarten die Eltern: “Falls einer unserer Abkömmlinge nach dem Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangt, wird er mit seinen Nachkommen von der Erbfolge nach dem Längstlebenden sowie von jeder Zuwendung von Todes wegen ausgeschlossen. In diesem Fall sind sämtliche für ihn geleisteten Aufwendungen und Ausgaben sowie die bereits übertragenen Vermögenswerte auf den Pflichtteil anzurechnen, soweit dies gesetzlich zulässig ist.„

Der Beklagte forderte mit Schreiben vom 10.06.2015 beim Finanzamt und beim Kläger u.a. eine Auskunft über die Höhe des Nachlasswertes an. Der Kläger wurde weiter um Mitteilung gebeten, ob er seinen Pflichtteilsanspruch geltend machen werde. Jener sprach am 12.06.2015 beim Beklagten vor und teilte mit, dass er der Ansicht sei, dass der Beklagte dies von ihm nicht verlangen könne. Es liege eine besondere Härte vor, denn bei seiner über 80 Jahre alten Mutter sei die Pflegestufe II und eine Schwerbehinderung festgestellt. Die Mutter müsse jeden Monat einen hohen Betrag für Pflegedienste zahlen. Im Übrigen würde sein Bruder erhebliche finanzielle Vorteile haben, wenn er - der Kläger - seinen Pflichtteil einfordere. Schließlich sei das Testament noch nicht eröffnet, der Wert der Grundstücke lasse sich bislang nur schätzen und die Höhe des zum Nachlass gehörenden Barvermögens sei ihm nicht bekannt. Der Kläger wurde vom Beklagten in diesem Gespräch jedoch darüber informiert, dass man seinen Erbanspruch ab dem 01.07.2015 als Vermögen berücksichtigten werde. Aufgrund der ungeklärten Vermögenslage könnten ab jenem Zeitpunkt nur noch darlehensweise Leistungen gewährt werden.

Der mittlerweile anwaltlich vertretene Kläger ließ mitteilen, dass er weitere Unterlagen angefordert habe, er könne jedoch bereits jetzt sagen, dass zum Nachlass ein hälftiger Ant...

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