Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Unzulässigkeit der Klage wegen fehlender Durchführung eines Vorverfahrens
Leitsatz (amtlich)
Fehlt es an der nach § 78 Abs 1 S 1 SGG bzw § 78 Abs 3 SGG erforderlichen Durchführung eines Vorverfahrens, ist die Klage als unzulässig abzuweisen.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen eine Erstattungsforderung des Beklagten.
Mit Bescheiden vom 11. Juli 2011, 26. Juli 2011, 2. August 2011 sowie 7. September 2011 bewilligte der Beklagte dem im Leistungsbezug stehenden und einer selbständigen Tätigkeit nachgehenden Kläger für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis 30. November 2011 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Mit “Endgültige Festsetzung des Leistungsanspruchs„ überschriebenem Bescheid vom 6. Februar 2012 teilte der Beklagte dem Kläger mit, in der Zeit vom 1. Juni 2011 bis 30. November 2011 sei es zu einer Überzahlung in Höhe von 5.203,30 € gekommen; dieser Betrag sei vom Kläger zu erstatten. Da er Angaben zu seinem tatsächlichen Einkommen aus Selbständigkeit nicht vorgelegt habe, sei davon auszugehen, dass er seinen Lebensunterhalt im betreffenden Zeitraum selbst habe decken können.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 12. Februar 2012 Widerspruch. Er trug u.a. sinngemäß vor, hinsichtlich der fehlenden Vorlage von Unterlagen sowohl das Gericht als auch den Beklagten immer wieder auf seinen Geldmangel hingewiesen zu haben. Ohne Geld könne er keine Druckertinte kaufen, ohne Druckertinte nichts ausdrucken.
Der Kläger hat am 23. Februar 2012 gegen den Bescheid vom 6. Februar 2012 Klage zum Sozialgericht Mannheim erhoben. Des Weiteren hat er - ebenfalls am 23. Februar 2012 - einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt (S 10 AS 628/12 ER), den das Gericht mit Beschluss vom 1. März 2012 abgelehnt hat. Eine Entscheidung über den Widerspruch des Klägers durch den Beklagten ist (noch) nicht erfolgt.
Unter Beibehaltung seines bisherigen Vortrags beantragt der Kläger sinngemäß,
den Bescheid vom 6. Februar 2012 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt unter Hinweis auf die fehlende Durchführung des Vorverfahrens,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten sind mit gerichtlichem Schreiben vom 2. März 2012 darauf hingewiesen worden, es sei eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe
Gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Den Beteiligten wurde Gelegenheit gegeben, sich zu äußern, § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG.
Die Klage ist wegen der fehlenden Durchführung des Vorverfahrens unzulässig und war bereits aus diesem Grund abzuweisen. Das vorliegende Klageverfahren war nicht auszusetzen, um dem Beklagten Gelegenheit zu geben, das Widerspruchsverfahren durchzuführen bzw. nachzuholen. Hierzu hat das Sozialgericht Stuttgart (Gerichtsbescheid vom 9. Mai 2011, S 20 SO 1922/11, juris - Rn. 19 - 22) zutreffend ausgeführt:
“Die gegenteilige Ansicht, wonach eine Klage ohne Durchführung des Widerspruchsverfahrens zwar unzulässig, das Verfahren aber bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides auszusetzen ist, überzeugt nicht. Jene Ansicht, die auf einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.2.1964 (vgl. BSG, Urteil vom 18.2.1964 - 11/1 RA 90/61 -, in: juris, Rn. 21) gründet und mit Urteil vom 22.6.1966 (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.19966 - 3 RK 64/62 -, in: juris, Rn. 21), 3.3.1999 (vgl. BSG, Urteil vom 3.3.1999 - B 6 KA 10/98 R -, in: juris, Rn. 28, 32) und 13.12.2000 (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2000 - B 6 KA 1/00 R -, in: juris, Rn. 25) bestätigt worden ist, führt zur Begründung pauschal lediglich die Prozessökonomie an. Weitere Begründungen liefert sie nicht.
Die höchstgerichtliche Rechtsprechung hat sich am Maßstab von Fällen gebildet, in denen - wie hier - innerhalb der laufenden Widerspruchsfrist lediglich Klage zum Sozialgericht erhoben worden ist, und hierzu zutreffend ausgeführt, dass in dieser Klageerhebung zugleich auch ein Widerspruch zu erblicken ist. Zu Unrecht wird diese Ansicht jedoch in einen nicht vorhandenen Sachzusammenhang mit dem Fortgang des gerichtlichen Verfahrens gestellt. Zwar liefe die Klägerin Gefahr, infolge Versäumung der Widerspruchsfrist ihrer Rechte verlustig zu gehen, wenn die Klage nicht zugleich auch als Widerspruch zu verstehen wäre. Es ist aber nicht ersichtlich, warum es “bei dieser Rechtslage … auch aus prozessökonomischen Gründen geboten„ sein soll, das gerichtliche Verfahren bis zu einer Entscheidung auszusetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.1966 ...