Entscheidungsstichwort (Thema)
Bildung des Gesamtgrades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht
Orientierungssatz
1. Nach § 2 Abs. 2 SGB 9 sind Menschen schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von 50 vorliegt.
2. Aus einem Teil-GdB von 20 für ein Wirbelsäulenleiden, einem solchen von 10 für einen nicht insulinpflichtigen Diabetes mellitus und einem Teil-GdB von gleichfalls 10 für eine Hörminderung ist allenfalls ein Gesamt-GdB von 30 zu bilden.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen des Schwerbehindertenrechts nach dem Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) um die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft.
Am 07.06.2010 beantragte der 58-jährige Kläger bei dem Beklagten die Feststellung seines Behinderungsgrades (GdB) nach dem SGB IX. Zur Begründung führte er ein Blutzuckerleiden, einen Tinnitus sowie ein LWS-Syndrom und ein depressives Erschöpfungssyndrom mit Panikstörungen an.
Unter besonderer Berücksichtigung des Berichtes über das psychosomatische Heilverfahren vom 13.10.2009 bis zum 10.11.2009 (Burg-Klinik Stadtlengsfeld) stellte der Beklagte mit Bescheid vom 03.08.2010 einen GdB von 40 fest. Dem lagen folgende Einzelbehinderungen zugrunde:
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1. Depression, psychovegetatives Erschöpfungssyndrom |
(Teil-GdB 30), |
2. degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung |
(Teil-GdB 20), |
3. Diabetes mellitus |
(Teil-GdB 10), |
4. Ohrgeräusche (Tinnitus) |
(Teil-GdB 10), |
5. Polyneuropathie |
(Teil-GdB 10). |
Hiergegen erhob der Kläger am 10.08.2010 Widerspruch: „Allein schon durch den beidseitigen Tinnitus“ komme es „im beruflichen und privaten Leben“ zu enormen Beeinträchtigungen. Die hierauf beruhenden „betrieblichen Spannungen“ wirkten sich „unverhältnismäßig stark“ auf seine „Psyche aus. Depressionen, Schlaflosigkeit und die Einnahme von starken Medikamenten“ seien „die Folge“. Hinzu kämen noch „häufig auftretende Ischiasbeschwerden“ und die „manchmal kaum noch zu ertragenden“ Folgen der Polyneuropathie. Im Übrigen habe der Beklagte eine seit Kindheit bestehende nicht heilbare „Lichtdermatose“ und die Gichtanfälle, die zeitweise „unsägliche Schmerzen“ verursachten, nicht berücksichtigt.
Unter Berücksichtigung weiterer Befundberichte ist der Widerspruch jedoch erfolglos geblieben. Weder die Gicht noch die Lichtdermatose könnten als eigenständige Behinderung angesehen werden.(Widerspruchsbescheid vom 09.11.2010).
Am 01.12.2010 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht erhoben und führte zur Begründung aus, dass seiner Einschätzung nach für das Wirbelsäulenleiden (Behinderung Ziffer 2) ein Teil-GdB von 30 angemessen sei. Für die Behinderung Ziffer 1 (Depression bzw. psychovegetatives Erschöpfungssyndrom) müsse ein Teil-GdB von 40 angenommen werden, denn es bestünden erhebliche soziale Rückzugstendenzen bzw. eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Da von einer „Kompensation der Tinnitus-Erkrankung keine Rede sein“ könne, sei hier für ein Teil-GdB von 20 gerechtfertigt. Insoweit überzeuge die vom Gericht eingeholte Zeugenauskunft nicht, insbesondere seien hierbei die erheblichen psychovegetativen Folgen der Tinnitus-Erkrankung nicht berücksichtigt worden. Auch die Polyneuropathie müsse höher bewertet werden. Im Übrigen sei es nicht erstaunlich, dass eine „Lichtdermatose aus den Unterlagen nicht hervorgehe“. Denn diese Erkrankung bestehe seit Kindheit und könne nicht behandelt werden.
Somit beantragt der Kläger sinngemäß,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 03.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2010 zu verurteilen, einen GdB von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
die Klage abzuweisen.
Er geht nach wie vor davon aus, dass der GdB mit 40 ausreichend bewertet sei.
Mit Schreiben vom 10.03.2011 berichtet Dr. … (Arzt für Allgemeinmedizin, Hirschberg-Leuchtershausen) als sachverständiger Zeuge über die hausärztliche Behandlung des Klägers seit 1993 (neben verschiedenen akuten Erkrankungen vor allem Diabetes mellitus mit Polyneuropathie, Schlafstörungen, depressive Verstimmung mit Angstzuständen, Herzrasen und Tinnitus). Zuletzt habe er den Kläger wegen der Panikstörung, eines burn-out-Syndroms und einer somatoformen Störung an einen psychotherapeutisch tätigen Kollegen überwiesen. Wegen der erheblichen Auswirkungen auf dem „psychiatrisch-psychosomatischen Sektor“ müsse hierfür ein Teil-GdB von 40 angenommen werden. Der Diabetes mellitus „mit inzwischen mehreren Folgeschäden“ bedinge einen Teil-GdB von 30. Insgesamt betrage der GdB daher mindestens 50.
Mit Schreiben vom 14.04.2011 berichtet Dr. … (Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Weinheim) als sachverständiger Zeuge über die zweimalige Behandlung des Kläger im Juni 2007 und im März 2009: Bei der Behandlung im März 2009 habe der Kläger angegeben, seit etwa eineinhalb Jahren unter einem Diabetes mellitus zu leiden und jeden Morgen zu früh aufzuwachen. Er fühle sich bei der Arbeit übe...