Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erwerbsminderungsrente bei psychischer Erkrankung
Orientierungssatz
1. Nicht erwerbsgemindert i.S.v. § 43 SGB 6 ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens täglich drei bzw. sechs Stunden erwerbstätig sein kann. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
2. Psychische Erkrankungen werden rentenrechtlich erst dann relevant, wenn trotz adäquater medikamentöser oder therapeutischer Behandlung davon auszugehen ist, dass der Versicherte die psychischen Einschränkungen weder aus eigener Kraft noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe dauerhaft überwinden kann (BSG, Urteil vom 29.03.2006 - B 13 RJ 21/05).
3. Solange die therapeutischen Optionen des psychiatrischen Fachgebiets noch nicht ausgeschöpft sind, ist ein Rentenanspruch des Versicherten ausgeschlossen.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Erwerbsminderungsrente.
Der am 22. Juni 1965 geborene, bei der Beklagten gesetzlich rentenversicherte Kläger war zuletzt bis 1994 als Lagerarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Danach ging er verschiedenen geringfügigen Beschäftigungen nach, war, zum Teil selbständig, als Verkäufer (auf Trödelmärkten) tätig und bezog Sozialleistungen.
Seinen ersten Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2012 mangels Erwerbsminderung des Klägers ab. Im sich anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren vor dem Sozialgericht Mannheim (S 14 R 3851/12) einigten sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 9. Januar 2014 im Vergleichswege auf die Gewährung einer ambulanten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme durch die Beklagte, während der Kläger im Gegenzug die Klage zurücknahm.
Im Juni 2015 stellte der Kläger unter Einreichung von ärztlichen Befundberichten den hier streitgegenständlichen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte ein Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. ... vom 23. September 2015 ein, welches sie nach einer Untersuchung des Klägers vom 14. September 2015 erstellte. Sie diagnostizierte eine unbehandelte funktionell leichtgradige Agoraphobie, eine abstinente Alkoholkrankheit sowie eine Low-Dose-Benzodiazepinabhängigkeit, rezidivierende Rückenbeschwerden ohne radikuläre Ausfälle, ein leichtes Engpasssyndrom (CTS) rechts ohne funktionelle Bedeutung, einen Tinnitus ohne funktionelle Bedeutung, ein geringfügige degenerative Veränderung der Brustwirbelsäule (BWS) und der Halswirbelsäule (HWS), eine leichtgradige Entzündung des rechten Gelenkknochens des Ellenbogens, eine leichte Pansinusitis und ein leichtes Schlafapnoe-Syndrom. Unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen sei der Kläger zu leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden täglich in der Lage. Auf dieser Grundlage lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 1. Oktober 2015 und der Begründung ab, der Kläger sei nicht erwerbsgemindert.
Der Kläger erhob Widerspruch mit der Begründung, seine behandelnden Ärzte, sein Psychotherapeut und „Arge“ seien der Meinung, dass er nicht mehr arbeiten könne. Dies werde auch von den von ihm vorgelegten Attesten belegt. Er legte unter anderem Schreiben seines behandelnden Psychologen Dipl.-Psych. ... vom 20. März und 5. Mai 2014 vor, in denen dieser eine depressive Störung und eine Angststörung als Diagnosen angab. Durch die durchgeführte Psychotherapie sei eine gewisse Besserung eingetreten. Die Behandlung habe supportiven Charakter zur Bewältigung der aktuellen Lebens- und Krankheitssituation. Aktuell halte er eine Arbeitszeit von unter drei Stunden täglich für möglich. Seine Depression mit stark reduziertem Antrieb führe zu massiven Beeinträchtigungen im Lebensalltag. Die generalisierte Angststörung führe zu schnellem Aufgeben beim Antreffen größerer Menschenansammlungen und zu Fluchtverhalten. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und hielte daran fest, der Kläger sein nicht erwerbsgemindert. Die vorgelegten Bescheinigungen von Dipl.-Psych. ... habe sie bereits bei ihrer Ausgangsentscheidung berücksichtigt.
Hiergegen richtet sich die 29. Januar 2016 erhobene Klage, zu deren Begründung der Kläger vorträgt, wegen seines Gesundheitszustandes könne er einer Erwerbstätigkeit auch teilweise nicht mehr nachgehen. Er habe seit 2007 erhebliche psychische Probleme und stehe deswegen in ständiger ärztlicher Behandlung. Außerdem habe er seit 20 Jahren chronische Rückenschmerzen und seit drei Jahren einen linksseitigen Tinnitus. Sein Psychotherapeut bestätige seine Auffassung. Der Versuch der Beklagten, im Widerspruchsverfahren bei diesem aktuelle Befundberichte anzuford...